Mittwoch, 30. November 2011

Anstöße zu einer positiven "Kommunismus"-Debatte gibt es schon ...

Folgenden Leserbrief schrieb ich als Reaktion auf den unten wiedergegebenen Artikel in der Dezember-Ausgabe des "Roten Brandenburger":


Lieber H.St.,
dein Artikel zum „Kommunismus (IV)“ empfinde ich als Herausforderung zum Handeln. Ich finde nur, dass man die Eigenschaft „fundiert“ nicht überbetonen sollte. Je weiter der Blick in die Zukunft geht, umso weniger kann man objektiv „fundierte“ Aussagen treffen. Wir können nur auf Wahrscheinlichkeiten zurückgreifen, nach denen sich gesellschaftliche Gesetze früher oder später durchsetzen müssen. Ob dies noch geschieht, bevor der konkrete Imperialismus mit seinem wenig menschenfreundlichen Wesen eine Menschheitskatastrophe ausgelöst hat, können wir nur hoffen. Da teile ich übrigens deine Sicht, dass Deutschland nicht der Nabel der sich in die Zukunft entwickelnden Welt ist.
Um aber den „Kommunismus“ wieder in das Licht zu rücken, in das es gehört, bedarf es vielerlei: Natürlich Vernunft, Einsicht in gesellschaftliche Entwicklungsgesetze und die Art ihres Wirkens, ohne Frage. Optimismus als Lebensauffassung, auch das. Aber dazu muss sich Anderes gesellen: Herz, Emotion, Begeisterung für eine gute Sache, die ansteckend wirkt. Bedingungslose Liebe zu „den Menschen“, die Vergnügen vermitteln kann am Handeln für eine gute Sache. Aber nicht zuletzt eben auch eine blühende kreative Fantasie. Sind wir fähig und bereit, uns nach den Enttäuschungen um das Land, in dem die „organische Weiterentwicklung zum Kommunismus ... konkret beschlossen“ worden war und eine Gorbatschow-Jelzin-Gesellschaft herauskam, bildhaft vorzustellen, wie diese klassenlose Gesellschaft funktionieren wird? Trauen wir uns Spekulationen und Nachdenken darüber, was einmal sein wird und welche Schritte bis dahin gegangen werden müssen und könnten? Ja, auch Spekulationen!
Wir müssen endlich erreichen, dass in eigenem Kreis nach vorn gedacht wird. Klar sind in der sozialistischen Bewegung viele konkrete Fehler gemacht worden, die freigelegt werden müssen, damit wir möglichst wenige davon beim nächsten Anlauf vermeiden können. Aber wir sind natürlich nicht unschuldig, wenn wir uns vom Klassengegner den Grundton der Debatte aufdrängen lassen. Die technischen Mittel, eine von Grund auf bessere Welt tatsächlich aufzubauen, sind heute um ein Vielfaches gewaltiger als noch vor 30 Jahren. Aber wer traut sich denn, zu sagen, was wäre, wenn wir sie in unsere Hände nähmen? Das wäre ja wohl eine kommunistische Aufgabe!
Lieber H.St.,
deine Artikel sind da ein positiver Fehdehandschuh. Sprechen wir wieder mehr über das, was wir wollen anstatt uns zu rechtfertigen, was wir nicht wollen dürfen. Da bin ich dabei! Nicht jeder hat die gleichen Stärken, glücklicherweise. Meine ist u.a. die Fantasie. Bringen wir uns ein! Schrecken wir nicht vor Weltuntergangsszenarien zurück – wenn wir es nicht verhindert haben werden, werden die einmal Wirklichkeit geworden sein ...

"Slov ant Gali"

Und nun die Vorgabe:

Kommunismus (Teil IV)
Noch belächeln uns hier viele, wenn wir von der kommunistischen Zukunft sprechen.
Dabei liegen jähe Wendungen anscheinend fester Verhältnisse weder lange zurück, noch
ereigneten sie sich selten. 1914 zogen Deutsche siegesgewiss und jubelnd für ihren Kaiser
in den Krieg, um ihn vier Jahre danach aus dem Reich zu verjagen.
Wer konnte sich 1930 etwa 1945 vorstellen? Und hätten die „Leipziger Helden“ 1989 die
tatsächlichen Folgen ihres Verhaltens geahnt, wäre nicht nur den Ostdeutschen vieles erspart
geblieben. Heute gibt es jedenfalls mehr als genug Signale dafür, dass die imperialistischen
Mächte weder wirtschaftlich noch sozial, weder politisch noch militärisch unentwegt so weiter
machen könnten, wie bisher. Es ist also nur dumm, heute noch kommunistische Vorstellungen
einfach zu belächeln. Das Problem liegt tatsächlich mehr darin, uns selbst auf die Höhe der uns
auferlegten Aufgaben heraufzuarbeiten.
Denn die asoziale Gesellschaft wird nicht allein mit deren Kritik überwunden. Es bedarf zumindest einer Grundvorstellung, was ihr folgen soll.
Kommunisten müssen sich also auch befähigen, die nachfolgende Gesellschaftsordnung
einleuchtend zu begründen.
Fundierte Antworten auf sehr reale Entwicklungsprobleme müssen erarbeitet werden. Dieser Satz kann hier nur an einem Beispiel erklärt werden. Bisher waren sozialistische Revolutionen
entgegen früheren Erwartungen nie in Ländern mit hoch entwickeltem Kapitalismus siegreich. Ob Russland, China, Jugoslawien, Kuba usw. – überall musste selbst die Industrialisierung völlig oder großen Teils nachgeholt werden. Die Produktivkräfte mussten überall erst auf das für eine sozialistische Gesellschaft erforderliche Niveau gebracht werden. Und das unter Bedingungen scharfer internationaler Klassenauseinandersetzung, verdeckter und offener Aggressionen sowie des
Kalten Krieges mit einem Feind, der wirtschaftlich (und infolge dessen oft nicht nur wirtschaftlich)
stärker war, als die sozialistisch orientierten Staaten.
Das alles führte nicht nur dazu, dass die Zeiten des Übergangs zum Sozialismus nicht selten hart waren. Auch wurde dessen organische Weiterentwicklung zum Kommunismus einzig in der UdSSR konkret beschlossen.
Doch auch dort fehlten die realen Voraussetzungen, um solche Beschlüsse in die Tat umzusetzen. Das führte zu den theoretischen Auseinandersetzungen darüber, ob Sozialismus und Kommunismus zumindest relativ eigenständige Gesellschaftsformationen wären.
Heute, also hinterher kann man – wenn man sich Mühe gibt – immer klüger sein. Es bedarf der einleuchtenden Antwort, die auch von der Partei getragen wird. Solange unser Werben für
Sozialismus/Kommunismus den Eindruck erwecken kann, wir könnten aus den Erfahrungen des real existierenden Sozialismus allein die Schlussfolgerung seiner simplen Wiederholung ziehen, fehlt ein reales, erstrebenswertes Ziel.
H. St.

Ich hoffe, ich musste nicht betonen, dass der hier angesprochene sowjetische "Beschluss" zu seiner Zeit ein Grund zum Lächeln war. Aber auch wenn er von einer Fehleinschätzung der Bedingungen der Welt ausging, hatte er das prinzipiell (!) richtige Ziel ... 

Samstag, 26. November 2011

Sind Kommunisten bessere Menschen?

Zu DDR-Zeiten gehörte ich zu denen, die zwei Parolen miteinander zu einer "logischen Aussage verknüpften: "Wo ein Genosse ist, ist die Partei" und "Die Partei hat immer Recht" ergibt eben logisch ""Wo ein Genosse ist, hat er immer Recht".
Leider ist das nicht allein ein "Witz" - und heutzutage mehr als zu DDR-Zeiten: Das Bild der Sache wird unterschiedlich stark an dem Bild einzelner Personen festgemacht. Zum einen wird dies im ideologischen Klassenkampf der herrschenden Antikommunisten bewusst gepusht. Da wird der Pawlowsche Reflex gepflegt "Kommunismus = Stalin = Gulak" oder was wohl für ein "Kommunismus" rauskommen mag, wenn Oskar zur Sarah ins Bett steigt. Das hat aber auch eine einfache menschliche Seite: Wer eben einem richtig unangenehmen Menschen in der "getesteten" Partei begegnet, der zieht sich u.U. gleich ganz von dieser Partei zurück. Und es ist ja nicht total unvernünftig: Um nachher gemobbt zu werden, brauchen wir keine sozialistische Revolution zu machen. Mitunter hatte ich bei bestimmten Personen und Erlebnissen den unbewiesenen Verdacht, es mit "U-Booten" zu tun zu haben, mit Menschen gegnerischer Geisteshaltung und Finanzierung also, die eine gemeinsam organisierte progressive Perspektive durch ihr Verhalten torpedieren.
Nun muss dies nicht sein. Es kann auch eine psychologische Besonderheit sein: Sich unter heutigen Bedingungen für eine offiziell unerwünschte Sache zu engagieren erfordert ein überdurchschnittliches Beharrungsvermögen.  Das kann zwei Ausprägungen haben: Eine grundsätzliche Sturheit, sich bei keiner Windrichtung und neuer Erkenntnis von dem abbringen zu lassen, was man einmal als richtig zu erkannt haben glaubt. Politisch "Dogmatiker" genannt. Und als Gegenbild dazu die besonders Kreativen, Unbequemen, quer Denkenden. Mit einem Grinsen als "Künstler" oder "Individualisten" genannt. Auch hier liegt eine höhere Mauer vor, die jeweils nur teilweise überstiegen werden kann. Das Denken weicht in verschiedensten Ebenen vom "gängigen" ab ... was eine größere Menge an Übertreibungen und Fehlern einschließt.
Sprich: Egal, in welche Richtung, sind in Gruppierungen, die nicht im konservativen Mainstream mitschwimmen, also mehr "schwierige" Menschen. Das kann sich in Momenten, in denen sich die Mitglieder der "Arbeiterklasse" als "Klasse für sich" bewusst werden, vorübergehend anders sein. Insgesamt bringt es aber wenig unmittelbare Vorteile, über das Gewünschte hinweg zu denken, ja überhaupt selbständig zu denken. Positiv ausgedrückt: Sich zum "Kommunismus" zu bekennen, erfordert durchschnittlich mehr "Charakter" ... was natürlich Karrieristen vom Schlage eines Lederer nicht ausschließt, sofern das linke Mikroklima groß genug ist.
Was sagt uns das?
Auf der einen Seite sollten wir uns bewusster werden, wie sehr das eigene Verhalten Vorbild- bzw. Abschreckungspotential enthält. Die Genossen aus der Steiermark können da wohl das auffälligste Lied singen.
Auf der anderen Seite sollten wir einander toleranter sehen. Also erst einmal überlegen, wo der eigentliche Gegner steht. Nämlich nicht in der linken Ecke, wo der Nachbar den Hauptfehler hat, dass sein menschlicher Mangel ein anderer als der eigene ist. Das bedeutet praktisch zuerst ein kameradschaftlicher Umgangston.  Nach dem Motto: Fühlt sich ein normaler Mensch wohl, wenn wir so miteinander umgehen, wie wir das gerade tun?
Akzeptieren wir einfach, dass es ein klein wenig schwierig ist, links zu sein, weil man mehr denken muss.
Achten wir auch darauf, dass es noch mehr "wandelnde" Verhältnisse gibt. So förderten die DDR-Machtverhältnisse Schleimspurmechanismen - aus mehreren Gründen. So fördern Verhältnisse im entfalteten Kommunismus einen kameradschaftlichen Individualismus - einfach, weil man sich an keiner "Macht" ausrichten muss, sondern an Gemeinschaften, die kameradschaftlich einfach besser funktionieren.
Im Moment aber sind die Menschen, wie sie eben sind. Wenn wir aber nicht stark genug werden, um real die Verhältnisse zu verändern, dann gehen wir - und zwar alle - früher oder später unter ...

Donnerstag, 24. November 2011

Ein Denkansatz: Wer ist heute "revolutionäres Subjekt"?

Man muss die marxistische Theorie konsequent zu Ende denken. So verwirrt ihre aus der Entstehungszeit bedingte Fixierung auf dem Begriff der „Arbeiterklasse“. Hierbei spielen modern zwei Gesichtspunkte eine eigene Rolle. Zum einen ist diese „Klasse“ eine „Weltklasse“. Veränderungen in einigen hochentwickelten Industriestaaten dürfen nicht den Blick darauf verstellen, dass es weltweit enormes „Nachholepotential“ gibt, wo noch „klassische“ Arbeiterklasse erst aufblühen muss. Erst dann stellt sich die Frage, inwieweit sich die Tätigkeitsstruktur von nicht zur Kapitalistenklasse Gehörenden ändert, ohne dass diese Menschen ihre Zugehörigkeit zur „Arbeiterklasse“ verlieren. Dies ist wichtig, um die Kerngruppen derer zu bestimmen, die für die konsequente Änderung der kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse am ehesten prädestiniert sind. Das kann bedeuten, dass der Weltfortschritt von Werktätigen in „Schwellenländern“ vorangetrieben werden muss, will man nicht eine Katastrophe vom Ausmaß vergangener Weltkriege als Bedingung eine erfolgreichen (Welt-)Revolution ansehen. In ihr könnten dann die Herrschenden der Welt nicht mehr weitermachen wie bisher und die Beherrschten auf der Welt übernähmen die Ressourcen, die sich bereits entwickelt haben (soweit sie bis dahin nicht wieder zerstört oder unbrauchbar wurden).

Freitag, 18. November 2011

Zur Frage von Staats- oder Volkseigentum (1 - Entwurf)


Auf verschiedene Weise rechne ich mit Zustimmung tatsächlicher Kenner der DDR-Verhältnisse, wenn ich behaupte, dass ein wesentlicher Grund für den relativ unspektakulären Untergang dieses Systems in der Verwirklichung tatsächlichen „Volkseigentums“ gelegen hat. Jemand, der sich als „Eigentümer“ fühlt, verteidigt dieses Eigentum mit allen ihm erreichbaren Mitteln.
Was ist denn eigentlich „Eigentum“? Im Wesentlichen ein ausschließendes Nutzungsrecht. Das heißt also zuerst, dass es Eigentümer nur dadurch gibt, dass es daneben Nicht-Eigentümer gibt. Recht sagt also die institutionelle Festschreibung.
Zu unterscheiden wäre Eigentum vom Besitz. Der ist die unmittelbare Verfügungsgewalt über ein Gut. Beides kann zusammenfallen. Das Problem im Verständnis entsteht aber gerade, wenn beide Verhältnisse auseinanderfallen. Das „Management“ besitzt scheinbar die volle Verfügungsgewalt über die Firma, der sie vorsteht. Das wird erst dann gebrochen, wenn es mit seinen Entscheidungen das Ziel der Eigentümer verfehlt. Meist ist dieses Ziel einfach als „Maximalprofit“ definiert. Die „Besitzer“ handeln also im Sinne der Eigentümer, können aber ihre Rolle sofort verlieren, sofern dies nicht zutrifft.
Volkseigentum unterstellt dem Namen nach Verhältnisse, in denen das jeweilige ganze Volk, richtiger hätte es von Anfang an „Staatsvolk“ heißen müssen, diese Eigentümerfunktion innehat.
Dann beginnt das Problem. Die Besitzverhältnisse bleiben hierarchisch. Jeder Leiter erkennt sich als Weisungsempfänger. Dies geht hoch in den Staatsapparat. Klammern wir eine Besonderheit einmal aus: Manche Eigentümerrechte wurden natürlich auch durch die Führungsmacht des Bruderbundes wahrgenommen.
Wichtiger ist aber die Frage der Beeinflussbarkeit von Entscheidungen. Eine direkte Einflussmöglichkeit des angeblichen „Eigentümers“ „Volk“ gegenüber seinem Eigentum bestand faktisch nicht. Es konnte es durch seine Arbeit mehren oder mindern. Die Entscheidungen des „Managements“ „Staat“ erschienen als Gesetz. So gab es keinen vernünftigen Grund, den „Staat“ nicht als „Eigentümer“ zu sehen. Selbst dort, wo das kapitalistische Eigentum abstrakt geworden ist, also ab der Aktiengesellschaft, hat der belangloseste kleine Aktienbesitzer ein formales Stimmrecht. Die DDR-Bürger hatten praktisch nicht einmal die Möglichkeit, „ihr“ Management auszutauschen.
Unser Glück: Dies musste, aber muss nicht mehr so sein. Die technischen Voraussetzungen für die Durchführung von „Eigentümerversammlungen“, für das Eingreifen einzelner Interessierter in jeden Entscheidungsprozess sind inzwischen gegeben. Insofern kehren sich Prozesse der Entstehung von Eigentumsverhältnissen um. Logischerweise war deren erste faktische Form das „Gruppeneigentum“. Dies war eigentlich noch kein „Eigentum“ im Sinne obiger Definition. Das „Recht“ war das Recht der Gewohnheit und die praktische Verfügungsgewalt der Gruppe über den Lebensraum, in dem sie existierte. Jeder wusste ausreichend über alles Bescheid und konnte mitbestimmen. Prinzipiell ist dies einer „Internetgemeinde“ auch möglich. Sie kann sogar sich selbst als „Gruppe“ frei definieren, kann also prinzipiell einen Berliner, deutschen, europäischen und weltweiten Entscheidungskreis schaffen – und mit letzterem bereits die Grenzen des „Eigentums“ sprengen, denn auf dieser Ebene ist ja niemand mehr ausgeschlossen.   

Dienstag, 15. November 2011

Zu Zufällen in der Geschichte ...

Es lohnt sich für jedermann, Friedrich Engels´ "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" zu lesen. Trotzdem kann man einen Gedanken ergänzen: Aller früher menschlicher Fortschritt beruhte im Einzelnen auf Zufällen. Niemand wird also bewusst geforscht haben, wie das Feuer nutzbar gemacht werden könnte. Das erste geröstete Wild dürfte eine "Entdeckung" gewesen sein. Selbst Errungenschaften wie die Zweifelderwirtschaft könnten einer rein zufälligen Beobachtung entsprungen sein: Obwohl man so mühsam und gründlich sein Feld reaktiviert hatte, wuchs das Getreide am Rand besser. Manche solcher Zufälle gingen dann in Mythen und Riten ein. Insgesamt aber lassen sich über einen langen Zeitraum Gesetzmäßigkeiten nachvollziehen, die zur Entstehung der Klassengesellschaften führten, und aus denen Marx das Grundgesetz aller gesellschaftlichen Entwicklung herausfilterte: die Produktionsverhältnisse sind der Rahmen, innerhalb dessen sich die Produktivkräfte entwickeln - von diesen "erschaffen" und durch diese gesprengt, wenn sie als Rahmen hinderlich werden. Es hat mit Sicherheit unzählige "Verstöße" gegen dieses "Gesetz" gegeben.  Sie sind aber unterschiedlich schnell untergegangen. Bei den erhalten gebliebenen Gesellschaften ist dann nur noch der im Wesentlichen siegreiche gesetzmäßige Verlauf der Geschichte übrig.
Selbst zu Beginn der "Neuzeit" schlugen im Einzelnen Zufälle dem tatsächlichen Geschichtsverlauf ihre Breschen: So kann man es in Mitteleuropa als Zufall ansehen, dass ausgerechnet bei Weingarten kein kampfesmutiger oder von allgemeinen Idealen Beseelter die Bauernhaufen führte. Über beides verfügten die Bauern. Bei dieser ersten Gelegenheit und der, bei der die militärische Wahrscheinlichkeit eines Sieges der Bauern am  größten war, trafen drei Zögerliche auf den Truchseß, der sie heim schickte.  Diese eine Schlacht hätte gereicht nicht nur für einen anderen Verlauf des ganzen Bauernkrieges selbst, sondern es wäre auch nicht zu DEM 30jährigen Krieg gekommen bis hin zur Geschichte Preußen-Deutschlands.
Oder Kolumbus oder Cortez. Warum sind ihre Schiffe nicht in den Unsicherheiten der Stürme untergegangen? Trotz der Hilfe der Tolteken gab es Augenblicke, da war der Untergang der Conquistadoren wesentlich wahrscheinlicher als ihre strahlende Heimkehr als "Goldmarie". Das Scheitern eine dieser beiden Unternehmungen hätte auf Dauer nicht die Entdeckung und "Integration" Amerikas in die "Weltwirtschaft" verhindert. Sie hätten aber diese Abläufe um Jahrzehnte verschoben. Es wäre vieles anders verlaufen. Die Träger von Reichtum und "Kapitalismus" wären u.U. andere gewesen ... Aber daran, dass sich die kapitalistische Produktionsweise durchgesetzt hätte, brauchen wir nicht zu zweifeln.
Ähnlich ist dies mit der Entwicklung in Richtung "Kommunismus". Allerdings sollten wir eines beachten: Das Aufblühen relativ fortschrittlicher Gesellschaften war immer mit dem Untergang anderer Gesellschaften verbunden, die es nicht geschafft hatten. Nur ganz spielerisch greife ich da die Masse an Indianervölker heraus, die es teilweise gar nicht mehr gibt oder als degenerierte Reste. (Man frage einfach, wie viele Europäer von der Kultur der Seminolen wissen.) Die relative Begrenztheit der Produktivkräfte im engeren wie weiteren Sinn begrenzte auch den jeweiligen Schaden. Die Pestdecken vernichteten im Wesentlichen den Zielstamm. Die Büffeljagd per Eisenbahn vernichtete "nur" die Lebensgrundlage der reitenden Jägervölker dort. Der Grad der Globalisierung heute erschwert diese räumliche Schadensbegrenzung. Das CO2 aus Europa wirkt mit am dauerhaften Untergang von Südseeinseln und Kalkutta.
Es nutzt uns also nichts, darum zu wissen, dass sich prinzipiell der Fortschritt durchsetzt. Ohne es zu merken könnten WIR vorher ein solches ausgestorbenes Indianervolk geworden sein. Und die Wahrscheinlichkeit, dass mit diesem WIR die ganze Menschheit gemeint sein könnte, steigt von Jahr zu Jahr ...

Sonntag, 13. November 2011

Von Perversem - "Planet der Waffen"

Vorweg: Ich finde es gut, dass eine solche Sendung über die Nutzung "wissenschaftlicher Forschung" gemacht und gezeigt wird. Leider ist sie in ihrer Interpretationsweise voll daneben. Anstatt den Krieg als aggressiven Ausdruck des Expansionsdranges des Kapitals, meinetwegen der Rüstungsindustrie usw., sichtbar werden zu lassen, wird er zum allgemeinen Überlebenskampf in der Natur. Besonders perfide: Da hier gerade die "natürlicherweise" als friedlich geltende Pflanzenwelt mit Tod bringenden Verteidigungsstrategien im Überlebenskampf gezeigt wird, kann ... und zu befürchten wäre SOLL man die Forschungen, wie "man" bei minimaler Gefährung der eigenen Krieger maximale Vernichtungswirkung beim Gegner erzielt, auf einer Ebene damit sehen.
Hier hat sich Herr Lesch in einen ideologischen Klassenkampf einspannen lassen. Schade. Denn Drohnenschwärme sind kein natürliches Produkt der Selbstverteidigung eigentlich friedlicher Naturwesen. Und Forschungen, wie man Demonstrantenmassen grillen kann, schon gar nicht. Wenn sie etwas sind, dann ein Beleg, wie pervers der "Fortschritt" wird, wenn er durch den "Kapitalismus" vorangetrieben wird.  Und wenn es darum geht, Menschen in utopische Kampfmaschinen zu verwandeln, dann sehe ich die entsprechenden Beispiele im "Wissenschaftszug" vor mir: Mit vergleichbarer Technologie könnten körperlich Behinderte ihre Behinderung überbrücken. Nur das kann eine sinnvolle Forschung sein.
Wenigstens das bemerkte die Sendung richtig: Jedes Produkt der Kriegsforschung auf der einen Seite stieß bisher immer irgendwann auf ein Gegenmittel der anderen. Und es gibt keinen Grund, an den dauerhaften "Erfolg" von Allmachtsfantasien potentieller Superimperialisten zu glauben. Aber jede Forschungsstunde, die dafür eingesetzt wird, ist für immer einer lebenswerten Menschheitszukunft entzogen.

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/sendung-verpasst#/beitrag/video/1481388/Planet-der-Waffen

Samstag, 12. November 2011

Ist Deutschland ein Land der "Penner"? Oder brauchen wir "nur" eine Camila Vallejo?

Die "junge Welt" bietet auf Seite 8 dieser WE-Ausgabe vom 12./13. November 2011 ein deprimierendes Inverview unter den Überschriften "Herbste sind normalerweise nicht sehr heiß - Am Donnerstag gibt es wieder einen bundesweiten Bildungsstreik. Beteiligung wird wohl eher gering sein."
Schon die Überschrift ist "wohl eher" wenig motivierend. Das ganze Interview legt mehrere Schlüsse nahe: Der hier beschriebenen Jugend geht ihre Bildung, also letztlich ihre Entwicklung als Persönlichkeit, ziemlich am Arsch vorbei. Ob nun so oder so ... ist doch eigentlich egal. Dazu kommt, dass der Interviewte sich "wohl eher" damit abgefunden hat. Also selbst der Aspekt, sich mit der gelungenen Organisation relevanter Proteste als geeignete Führungsperson selbst in Szene setzen zu können, scheint einem achselzuckenden Defätismus gewichen zu sein. Wozu dann überhaupt noch was unternehmen?!
Nun ist die "Klassenkampflage" der Unterdrückten in Deutschland besonders mies. Die Zahl der Menschen, die sich selbst als relevante Gruppe annimmt, also als "Klasse für sich" wie das einst hieß, ist marginalisiert klein.
Trotzdem: Die Situation in Chile zeigt, dass auch solch unterschätztes Lebensfeld wie die Bildung zu einer gesamtgesellschaftlich relevanten Mobilisierung führen kann. Das hat allerdings mehrere Voraussetzungen:
1. Auch auf die Gefahr hin, dass eine eingegrenzte Führung gezielter korrumpierbar ist, ist eine selbstbewusste Führung erforderlich. Gerade in schwierigen Kämpfen geht es weder ohne funktionierende Strukturen noch ohne "Leuchttürme" an denen sich verunsicherte Massen orientieren können. Und "man" geht natürlich eher in den "Kampf", wenn man mindestens fühlt, dass man mit dem (der / denen) an der Spitze auch gewinnen kann.
2. Die Bewegung muss ihre Position innerhalb der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung positiv ausjustieren können. Also kann "man" rüberbringen, dass das eigene Teilziel auch im Interesse einer tatsächlichen Mehrheit der Bevölkerung ist? Steht das eigene Teilziel klar im Umfeld einer gesellschaftlichen Gesamtkonzeption? Also ein Kampf um Arbeitszeitverkürzung funktioniert fast nur unter der Einordnung in einen Kampf um eine vergesellschaftete Wirtschaft. Selbst wenn der einzelne Kampf nicht zum Sozialismus führt, so ist die Drohung damit ein Argument für "unternehmerische Kompromissbereitschaft".
3. Der zweiten Voraussetzung ähnlich ist das Wechselspiel aus eigenem Durchhaltevermögen und Einbindung in ein Geflecht von Bündnispartnern. Natürlich ist auch Muskelspiel nötig, also das Austesten, wie viele "Kämpfer" man mobilisieren kann. Aber das ist natürlich kein Kampf. Seine Reihen am Samstag abzuzählen bringt denen nur ein verdorbenes Wochenende. Spätestens beim dritten Mal ist ein gefrustetes Daheimbleiben eigentlich vernünftig. Deshalb haben frühere Strategen der Arbeiterbewegung immer auf Übergangsprogramme vor der Umsetzung ihres Gesamtziels geachtet. Und das können durchaus kleine Sachen sein, die erkämpft worden wären. Es muss der anderen Seite irgendwie auch weh tun. Also die Umzingelung des Reichstages ist eine schöne Idee. Aber sie müsste lange durchgehalten werden. Man brauchte ja die Abgeordneten nicht am Zugang zum Parlament (oder die Banke in ihren Machtbereich) nicht ganz zu hindern. Es reichte ja schon, die Volks-"Vertreter" bewusst nur durchzulassen. ...
Camila Vallejo ist eine akzeptable Kombination dieser Gedanken für eine Studentenführerin. Sie hat Charisma, also sie scheut sich nicht, zusammenhängende Sätze ihrer Weltanschauung in verschiedenartige Mikrofone zu sprechen. Sie hat ein selbstbewusstes aber angenehmes Auftreten, verleugnet also auch nicht, dass sie eine Frau ist, mit der Mann etwas zu tun haben möchte. Sie leugnet aber auch nicht, dass sie bei allem eigenen hübschen Kopf kommunistischen Gesellschaftsvorstellungen gegenüber aufgeschlossen ist. Ob sie das einmal zur jüngsten Präsidentin der modernen Welt machen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Dass sie entsprechend modernen Erfordernissen zumindest vorübergehend die organisationsstarke Bildungsgemeinde in eine kampffähige "Arbeiterklasse" einzubauen, lässt sie bereits heute zu einer Lichtgestalt werden.
Möge sie uns vor den Anschlägen einschlägiger Geheimdienste bewahrt bleiben. Möge sie als Beweis, was man als 23jährige bereits erreichen kann, zum Vorbild kreativer junger Köpfe werden. Die Welt hat sie bitter nötig. ...

Freitag, 11. November 2011

Natürlich widerfahren auch dem "rotfuchs" peinliche Ausrutscher

Wichtig bei einer Zeitschrift, die den Meinungsstreit unter Linken befördern will (und es ansatzweise bereits tut), ist ein ausreichendes Maß an Achtung für die Denkansätze Anderer, wenn diese von den eigenen abweichen. Das setzt voraus, dass man sich ums Verstehen der Anderen bemüht und versucht, die Mängel, die der Andere in seiner Gedankenkette zu haben scheint, zu begründen versucht.
In diesem Sinn sehr unangenehm fiel mir deshalb der mit "Absage an Vollbeschäftigung" überschriebene Artikel zur Verdammung des Konzeption vom "bedingungslosen Grundeinkommen" eines Doppel-Doktor Albrecht auf.
Sicherheitshalber betone ich gleich, dass ich die letzte Konsequenz des Autors, nämlich dass die BGE-Konzeption nicht zur "Überwindung" des Kapitalismus geeignet ist, teile. Und das Problem ist praktisch komplizierter als es in einen vom Umfang her einseitigen Artikel darzustellen. Leider ist der Artikel nicht nur inhaltlich einseitig geworden, sondern kommt in seiner Aneinanderreihung von nur teilweise gerechtfertigten, durchgängig aber wie letzte Wahrheiten aufgeschriebenen Thesen einem oberlehrerhaften Denkverbot gleich.
Mindestens in der Disposition schmerzt es furchtbar. Ob aus Gründen der bewussten Diffamierung oder Unkenntnis in der Sache sei dahingestellt, aber für einen Unkundigen wird der Eindruck erweckt, als ginge es um ein Konzept, bei dem Katja Kipping und ihre PdL-Anhänger das Gleiche wollen wie Götz Werner und rechte Systemideologen.
Der Satz "Der Teufel steckt im Detail" scheint dem undialektisch agierenden Autor bei seiner Darstellungsweise fremd zu sein - so wie ich das in diesem Satz auch mache. Wie problematisch das ist, sieht man zur Zeit aber an der Diskussion um den "Mindestlohn". Das, was da durch die "Merkel-Fraktion" unter dieser Überschrift angeschoben werden soll, ist glatter Etikettenschwindel. Was wahrscheinlich herauskommen wird, wird wohl ein allseits durchlöchertes "Verhüterli" sein - also vom Sinn her keines.
Auch beim "bedingungslosen Grundeinkommen" gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte, je nachdem, wie es praktisch ausgestaltet wäre. Dazu gehören auf einer Seite seine Höhe - also wer wie definiert, was wann "existenzsichernd" wäre  (Achtung: 4 Fragen!!!) - und auf der anderen Seite die Art der Umverteilung.
Eine sozialistische Regierung könnte ja eine faktische Enteignung ausbeutenden Eigentums ohne juristischen Enteignungsakt vollziehen, indem sie u.a. ein entsprechendes Steuersystem durchsetzt. (Man könnte dabei auch Erfahrungen auf der Treuhandverwaltung des DDR-Volks-Eigentums einsetzen.) Es ist also nicht das Detail für sich, sondern immer, innerhalb welcher Machtverhältnisse es wofür eingesetzt wird. Also letztlich werden ALLE nur ökonomischen Konzepte der direkten oder indirekten Systemstabilisierung dienen, sofern die politischen Machtverhältnisse nicht angetastet werden. Das BGE ist emanzipatorisch schlicht praktisch nicht machbar - zumindest nicht unter kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen. Teile der Albrecht-Thesen gehen darauf zurück. Aber schon das ist umständlich zu erklären.
Für mich verwunderlich war übrigens, dass der nationalistische Aspekt des Konzepts selbst in einem solchen Totschlagspamphlet nicht auftaucht. Dabei wäre es praktisch das erste Problem der Umsetzung. Eben weil es kein wirklich "bedingungsloses" Grundeinkommen geben kann. Im weitesten Fall wäre die erste "Bedingung", die Empfänger müssten Staatsbürger oder Bewohner des Gebiets des leistenden Staates sein. Dass allein dies die BGE-Anhänger zu perversen frontex-Fans machte, die Migrantenstrombremsen verteidigten, reichte mir schon als Ablehnungsgrund aus. Dass Menschen aber nach Wegen zu suchen versuchen, die vielfachen Schikanen abzubauen, die mit dem Hartz-IV-System verbunden sind, sehe ich erst einmal positiv. Dass diese Suche ein schnelles Ergebnis für die heute Schikanierten sucht, ebenfalls. Also gönnen wir uns Irrtümer, wenn wir zum Schluss zu etwas gelangen wollen, was bisher noch ohne fertiges Beispiel ist.

Donnerstag, 10. November 2011

Mit unverKLEISTertem Blick (1)

In der "jungen Welt" herrschen empfehlenswerte Gewohnheiten: Neben den ganz aktuell zu verarbeitenden Nachrichten - bei denen die Zeitung wegen gewisser zeitlich-redaktioneller Rückstände noch keine absoluten Höchstnoten erreichen kann - öffnet sie den Blick über den Tag hinaus. Einen besonderen Anteil daran haben die Beiträge auf Seite 10/11. Hier laufen populärwissenschaftliche Philosophie-Dispute, aber auch Themen z. B. aus Geschichte und Kunst werden eingehender betrachtet. Diesmal wurde Kleists 200. Geburtstag sogar mit einem auf zwei Ausgaben verteilten Beitrag gewürdigt und analysiert. Das ist nicht nur für Kenner von Interesse und lesbar, weil der Dichter und seine Werke nicht nur in sein Umfeld gestellt werden, sondern die Kleist-Rezeption in verschiedenen Zeiten natürlich viel Raum zum Weiterdenken schafft.
Allerdings versteckt sich der Autor bei der Kleist- und Romantik-Rezeptionsgeschichte in der DDR zu sehr hinter Peter Hacks. Dekadenz, richtig. Die Kunst nahm den eigenen Untergang vorweg. Auch richtig. Aber warum? Aber hier fehlt nun das Gemeinsame von DDR-Romantik-Rezeption und der im Faschismus.
Die Überbetonung des Gefühls ist das eine. Sie ist, das darf man nicht vergessen, auch eine Überreaktion auf die Überbetonung des Verstandes im "sozialistischen Realismus". Aber das Warum geht noch weiter:
Dem Gesamtproblem liegt eine philosophische Kernfrage zugrunde: Ist unsere Welt in ihrer Totale erkennbar. Die bürgerlich-progressive Linie bejaht dies auf ihre Weise. In der Aufklärung mit dem Vernunft-Diktat, das der aufgeklärte Monarch nur umsetzen brauchte. Letzten Endes in der Klassik mit einem allgemeinen kreativen Menschenbild, bei dem selbst negative Einflüsse zu einem positiven Ergebnis führen ... bis hin zu Fausts Zukunftsvision, das als Vorwegnahme des Kommunismus-Bildes interpretiert werden kann. Höhenflüge voll Optimismus. Kaum ein Achselzucken gegenüber den Bauchlandungen auf dem Weg bis dahin.
Dem gegenüber die schmachtende Romantik, die eben diese Bauchlandungen voraussieht, richtiger -ahnt.
Beide bieten Antworten: Die Klassik "Es wird schon werden", die Romantik "Es war doch schon mal". Die Suche nach der einfachen Antwort.
Eine einfache Antwort wäre der Rückblick auf vergangenes einfacheres Leben, überschaubarere Werte.
Damit verbunden: Die Machtfrage war leicht zu klären. Entweder der eine schlägt den anderen oder der den einen nieder. Man kann sich natürlich auch in ein Gefolge einordnen. Mit dem großen Abstand wächst der Raum für Verklärungen.
Aber die DDR?
Das Gefühl reagiert auf veränderte Bedingungen zuerst. Der historische und dialektische Materialismus galt zwar noch als "Staatsreligion", aber die innere Wirklichkeit schien mit den offiziell erlaubten erlaubten Mustern nicht mehr ausreichend erklärbar. Warum erwies sich dieser "Sozialismus" nicht weiter als dynamischer?
So entstand Raum für vereinfachende Muster. Auf der einen Seite verstärkter Dirigismus (einschließlich Misstrauen den eigenen Bürgern gegenüber) auf der anderen die Aufgabe aktiv angestrebter (vernünftiger) Visionen. Platz für "Kein Ort. Nirgends".
So wie das idealisierte Gefolgschaftstum dem Faschismus, also dem besonders entblößten Kapitalismus diente, waren romantische Gefühls"erkenntnisse" Sympthome schrumpfenden Selbstwerts.

Samstag, 5. November 2011

„Die Bücherdiebin“ oder vom Sirenenruf des Künstlers

Die Meinung Meinung meines selbst schreibenden Freundes stand fest: „Die Bücherdiebin“ von Markus Zusak erschien ihm als heißer Kandidat für den Literaturnobelpreis. Ich müsse es unbedingt gelesen haben. Ich gebe zu, anfangs fiel ich in den Strudel. Was den Umgang mit Sprache angeht, setzt das Buch Maßstäbe. Bis auf unbedeutende Ausnahmen ist darin etwas Unglaubliches gelungen. Dort, wo ein „normaler“ Schriftsteller charakterisierende Eigenschaftswörter benutzt hätte, verwendete der Autor Metaphern und mitunter in sich absurd erscheinende Sprachkonstruktionen, die beim Leser das Gefühl, um das es jeweils geht, nicht benennen, sondern erzeugen. Ich war einfach bereit zu weinen, wenn Zusak das wollte.
Erst allmählich schälte es sich heraus: Der Autor hat sein Thema missbraucht. Ob beabsichtigt oder nicht – er verbreitet eine gefährliche Ideologie auf eine gefährlich einschmeichelnde Weise.
Der Plot ist relativ einfach, obwohl die Verzweigtheit einander berührender Handlungsstränge das Ganze zu einem echten Roman macht: Der Tod erzählt die Geschichte eines deutschen Mädchens in den Jahren 1939 bis 1943 einschließlich der Menschen, mit denen sie in Berührung kommt. Die Handlung beginnt auf der Fahrt zu ihren Pflegeeltern, als ein „Handbuch für Totengräber“ für sie zum letzten Andenken an den verstorbenen jüngeren Bruder und die Mutter wird, und endet mit dem Tod der in ihrer Straße in einer Kleinstadt nahe München wohnenden Mitmenschen und Freunde.
Das Leben von Menschen im Faschismus also. Die Wahl des personifizierten Todes als allwissender Erzähler und des Alters der Hauptheldin – neun Jahre zu Beginn, vierzehn am Schluss – schafft eigentlich breitestmöglichen erzählerischen Spielraum. Auf dem Weg vom Kind zur frühreifen „Frau“ könnte das wissbegierige Kind uns an Erkenntnisgewinnen teilhaben lassen und notfalls kann der ewig Allgegenwärtige uns zurückhaltend das vermitteln, was den Horizont des Mädchens übersteigt. Beides bleibt in extremem Einfühlungsgefühl stecken.
Mir graut es davor, jemand, der dieses Buch gelesen hat, könnte nachher sagen, er hätte den Faschismus besser verstanden. Denn künstlerisch gut verpackt bleibt ein Gedanke übrig:
„Wir waren alles Opfer – Adolf Hitler ist es gewesen!“
Dass der von den Pflegeeltern versteckte, Monate lang isoliert lebende jüdische Möchtegernfaustkämpfer alles auf die eine Person des „Führers“ fixiert, ist ein gut nachzuvollziehendes und gestaltetes Bild. Dass dem aber kein wie auch immer geartetes Gegenbild beigestellt wird, lässt glauben, der Autor sieht das auch so oder – noch schlimmer – will, dass die Leser das so sehen.
Die Art der permanenten Bedrohung durch „den Krieg“, besonders natürlich das Zelebrieren der psychischen Leiden des Mädchens, als sie nacheinander ihre Familie und Freunde als Opfer der Bomben erkennen muss, macht das Buch sogar für „Neonazis“ zumutbar: Vom Gefühl her erweckt es das Wort „Bombenholocaust“ zum Leben. Dieser Eindruck wird – wenn auch wahrscheinlich unbeabsichtigt – dadurch noch bestärkt, dass der junge Jude – im Gegensatz zu den lieben Deutschen – (dank !?) Dachau überlebt hat.
Ich kann mich natürlich nicht zurückhalten, etwas dazu anzumerken, dass der leibliche Vater des Mädchens ein Kommunist gewesen sein soll. Im Zusammenhang mit dem Gesamtroman wirkt das so, als hätte der Autor irgendwo gehört, das sei eine wesentliche Opfergruppe unter dem Faschismus gewesen, wichtiger als Zigeuner oder Zeugen Jehova, also muss das Wort vorkommen. Dass das Mädchen dem Sinn des Begriffs nicht nachgegangen sein sollte, erscheint mir unter ihrem Niveau – bis hin zum Infragestellen offizieller Antworten. Der Autor ist feige genug, sie nicht einmal in ihrem erbeuteten Buch der Wortbedeutungen nachschlagen zu lassen. Überhaupt scheint der Autor jede Berührung mit geistigem und sachlichem Widerstand gegen das System zu scheuen. Sofern jemand aufbegehrt, so tut er dies naiv bis dumm und selbstmörderisch. Geradezu erschreckend die Mühe, die sich Zusak gab, um das menschliche Handeln des Pflegevaters, also dass der den jungen Juden verbirgt, hinter der germanischen Treue, ein einmal gegebenes Versprechen einlösen zu müssen, zu verbergen.
Man schlägt das Buch zu. Ein anständiger Mensch hat seine Träne im Knopfloch: „Ach, die Ärmste!“ und dann … Nichts!
Da erwacht dann doch mein Widerspruch. Heulen ist gar nicht so schlecht, Mitfühlen.  Aber darf sich Kunst darauf beschränken? Vor allem Wortkunst, die Zusammenhänge umfassend darstellen könnte? Gut, bei jedem progressiven Kunstwerk bin ich traurig, wenn die „Botschaft“ zu vordergründig daherkommt. Aber dafür gar keine oder die „Botschaft“ zu transportieren, es hat alles keinen Sinn, wir waren / sind alles Opfer?
Wer schreibt, hat eine große Verantwortung. Durch seine Kunst bereichert er seine Leser im Fühlen und Verstehen. Dem wurde das Buch nicht gerecht. Im Gegenteil: Ein Verlag verdient daran, Lesenden Schlafsand zwischen die Gehirnwindungen zu streuen … Also weinen wir noch ein wenig vor uns hin … und suchen dann nach klug Machendem …
In Wikipedia hat das Buch einen eigenen Artikel bekommen. Dabei ist besonders erschreckend, dass der Erfolg des Werkes als „Jugendbuch“ hervorgehoben wird – angeblich neben „Das Tagebuch der Anne Frank“ zu stellen (http://de.wikipedia.org/wiki/Die_B%C3%BCcherdiebin ) Dies ist dann mindestens böser Vorsatz. Für die Zielgruppe ist es ideologische Indoktrination mit dem Ziel, junge Menschen von jeder praktischen Form des Widerstands abzuhalten.