Samstag, 31. Dezember 2011

Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben (2)

Von heutigen Menschen und Marx als Prophet ...

 Der moderne Marxismus steht gerade vor diesem Problem.
Das Naturgesetz (!) der dialektischen Entwicklung vom Niederen zum Höheren gibt es zwar, das Höhere gegenüber dem Kapitalismus wäre dabei (meinen zumindest die Kommunisten) der Kommunismus, aber sobald die Menschen meinen, sie wären schon in diesem Gewässer gewesen (was ein Trugschluss ist) und der Wasserspiegel wäre nicht gestiegen, wollen sie nicht „noch einmal“ hinein. Bekommt die Masse nicht aus einer neuen Richtung einen neuen Anstoß zum erneuten Tun unter neuen Bedingungen, tritt das alte Gewässer nie über seine Ufer und verfault, sprich: die Menschheit ginge unter.

Marx hatte es da leichter. Er war noch in der Rolle des Mannes, der zu „Unschuldigen“ sprach. Ihm stand „nur“ entgegen, dass „natürlich“ die Gegner der von ihm gewollten Entwicklung alles unternahmen, damit sein Wort einfach nicht genug Menschen für das richtige Handeln erreichte.
Das tun ihre modernen Nachfolger selbstverständlich heute immer noch. Die „Erben“ der Macht im Kapitalismus unternehmen natürlich weiter alles, um ihre „Erbschaft“ zu bewahren. Und ihre Möglichkeiten sind gewachsen. Unter anderem nutzen sie die Grenzen des „gesunden Menschenverstandes“. Der nur mit solchem ausgestattete Betrachter sieht eine Menge Menschen, so wie sie gerade sind und wie er sie gut verstehen kann. Die verhalten sich nicht so, dass man mit ihnen „Kommunismus machen“ könnte, und der Betrachter schlussfolgert vereinfachend: „DIE Menschen sind eben so.“ und „Kommunismus kann man nicht machen.“

Er übersieht dabei, dass er eben heutige Menschen vor Augen hat. Wenn er sich aber vorzustellen versucht, dass der gläubige Menschenverstand vor 700 Jahren oder der „unberührte“ Indianer vor 300 ganz Anderes als „vernünftig“ angesehen hat, dann erscheint es einsichtiger, dass unsere Nachfahren in 700 Jahren ganz anders denken könnten als wir uns das ausmalen können.
Das Dumme ist, dass wir uns heute in einer Chaos-Welt befinden. Ohne eine Wertung abgeben zu wollen, ob Marx und Engels die richtigen Voraussagen getroffen haben, was den Weg angeht, so ist doch eines sicher: Der von ihnen beschriebene Zielpunkt der menschlichen Entwicklung, den sie Kommunismus nannten, ist davon abhängig, dass möglichst viele Menschen tatsächlich in jenen „See“ der Geschichte hineinsteigen. Wirklich handeln. Bleiben zu viele am Rande stehen – zum Beispiel mit der Entschuldigung, sie wären ja schon drin gewesen und der Wasserspiegel sei nicht angestiegen, sie hätten sich nur nass gemacht dabei – dann bleibt die notwendige weitere Entwicklung der Menschheit einfach aus. Schluss und Barbarei.


Dies ist nur ein Stück aus dem Kapitel im Buchentwurf für "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen". Das ganze Kapitel befindet sich H I E R )

Freitag, 30. Dezember 2011

Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben

Gehen wir ins Wasser!

In der Masse, sagen wir der „Menschheit“, wirkt, was jeder Einzelne macht, chaotisch. Von dem Moment an, in dem es eine „menschliche Gesellschaft“ gab, wirkten aber Entwicklungsgesetze, die diesen chaotischen Handlungen zu einem letztlich notwendigen (allerdings nur theoretisch vorher bestimmbaren) Ergebnis führten. Egal, wer sie erkannt hat. Irgendein einzelner Mensch, eine Gruppe von Menschen oder die ganze Menschheit. Oder ob überhaupt einer.
Das hat einen einfachen Grund: Alle gesellschaftlichen „Gesetze“ haben ihre Wurzel in Zusammenhängen der Natur, also Mechanismen, mit denen die Natur ihre eigene Existenz erhält. Die wirken weiter, obwohl der Mensch sie erkennen und damit beeinflussen könnte, erst einmal (aber nicht nur) deshalb, weil er sie nicht erkannt hat. Insofern ist es wichtig, solche Gesetze, Naturregeln, genau zu erforschen.

Sagen wir, es findet sich ein Mensch, der auf andere glaubhaft wirkt, wodurch auch immer.
Sagen wir weiter, dieser Mensch behauptet, dass wenn alle anderen Menschen zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt in einen See steigen, so wird der ewige Schöpfer der Welt machen, dass dieses Gewässer über seine Ufer tritt.
Sagen wir, genug andere Menschen handeln, wie dieser eine es ihnen sagte.
Was passiert? Das Gewässer tritt tatsächlich über sein Ufer. Der Mensch hat ein Wunder eines angeblichen Schöpfers bewiesen, das gar keines war. Er hat nur etwas vorausgesagt, dass unter den von ihm genannten Bedingungen notwendig so eintreten musste.
Stellen wir weiter fest: Wären nicht genug Menschen, der Wunderverkündung glaubend, ins Wasser gestiegen, so wäre der Wasserspiegel nicht gestiegen, also das vorher verkündete Wunder ausgeblieben. An der naturgesetzlichen Wasserverdrängung hätte sich nichts verändert. Ihr hätten nur die Voraussetzungen gefehlt, wirklich wirksam zu werden.
Die Kraft der Idee (der Übereinstimmung seiner Erkenntnis mit dem tatsächlichen Handeln seiner Mitmenschen) des Mannes hat, unabhängig, ob ehrenwert begründet oder nicht, zu einer sichtbaren Veränderung geführt.

Nun kann man sagen, wie primitiv! Eine einfache Wasserverdrängung!
Falsch!!! Es geht in diesem „Beispiel“ darum, dass die vorangegangene „Prophezeiung“ des Mannes das Handeln der anderen Menschen und dieses wiederum das Auftreten eines Naturgesetzes hervorrief, das potentiell immer vorhanden war, ist und sein wird – unter bestimmten Voraussetzungen …
Nun sind eben „gesellschaftliche Gesetze“ solche, die immer erst durch das Handeln von Menschen wirken. Das Handeln des Menschen erwächst wie das Denkniveau, auf dem es beruht, aus dem „Entwicklungsstand der Produktivkräfte“. Beim heutigen Durchschnittsdeutschen würde dieses Prophetenspiel nicht funktionieren - der kennt die Naturgesetze aus der Schule gut genug, um den „Propheten“ zu belächeln.

Bei unserem Beispiel bliebe es gleich, ob der Mann die anderen betrügen will, um zu Macht zu kommen, oder ob er den Menschen zeigen will, welche Macht sie über die Naturgewalten haben. Entscheidend ist, er hat über den Zusammenhang des Naturgesetzes, hier also die Wasserverdrängung, nachgedacht, die richtigen Schlüsse gezogen … und über das Handeln der Massen die beabsichtigte Wirkung wirklich eintreten lassen.
Dies ist eine, wenn auch zugegeben etwas makabre, Verbildlichung von Marxens Satz „Die Idee wird zur materiellen Idee, wenn sie die Massen ergreift.“


Dies ist nur ein Stück aus dem Kapitel im Buchentwurf für "Komodo - Kommunismus ohne Dogmen". Das ganze Kapitel befindet sich H I E R )

Donnerstag, 29. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (11)

Wir packen es trotzdem ...


Allerdings ist es nicht immer nötig, die Zusammenhänge so komplex und verwirrend darzustellen, wie sie insgesamt wirklich sind. Wem ein Stein nach unten auf seinen Fuß gefallen ist, den interessiert weder, ob dieser Stein aus Sicht eines Australiers nach oben oder aus Sicht der Sonne in Richtung Pluto oder aus Sicht der Galaxis in Richtung ihres Mittelpunkts geflogen ist, selbst wenn alle Betrachtungen im konkreten Fall richtig wären. Den vom Stein Getroffenen interessiert nur, dass er keinen Schuh angehabt hatte, Schmerzen hat, hinkt und blutet.

Halten wir also fest: Auch der so genannte gesunde Menschenverstand ist davon abhängig, was wir zuvor in den verschiedensten Formen gelernt haben. Es gibt dabei keinen Fall, bei dem nicht wenigstens ein ganz klein wenig theoretisches Wissen dabei ist. Wäre dies anders, würde jeder von uns sich heute als Erdscheibenbelatscher empfinden. (Die Sonne „geht eben auf“  )
Wenn aber in dem, was wir – aus welchem Grunde auch immer – einmal beigebracht bekommen haben, ein Fehler ist, können wir daraus mit Recht ein Gebäude von „Wahrheiten“ errichten, ohne zu ahnen, dass wir die idiotischsten „Meinungen“ von uns geben. Wahr bleibt dabei nur der Zweifel. Weil wir heute wissen, wie sehr wir den Kopf über die „Meinungen“ eines Durchschnittsmenschen von vor 700 Jahren den Kopf schütteln, können wir erahnen, dass dies einem Menschen aus der Zeit 700 Jahre nach uns mit uns wahrscheinlich genauso gehen wird – nicht in allen Dingen, aber durchaus bei vielen heutigen „Selbstverständlichkeiten“. Allerdings haben wir natürlich ähnliche Schwierigkeiten über die Einzelheiten dieses Kopfschüttelns – wie ein Damaliger meine „jedem gesunden Menschenverstand widersprechende“ Weltsicht mit der Bewegung der Sonne um die Erde zurückwiese.

Anders gesagt: Wir sind leicht für dumm zu verkaufen und merken es meistens nicht. Allerdings sind wir nicht wehrlos. Es gibt natürlich neben jenen „Wissenschaften“ und Schulen, die uns die uns umgebende Welt als letztlich endgültig vorkauen, auch immer wissenschaftliche Zweifler. Und mit denen zusammen können wir durchaus in Geistes-Raketen steigen, um mit eigenen Augen zu sehen: Der Stein fällt für uns dann nicht nach „oben“ oder „unten“, er bewegt sich in Folge der Gravitation - ohne schwebte er frei im Raum. Etwas zur Entwicklung der dabei erforderlichen kreativen Fantasie möchte ich beitragen. Also pflücken wir Äpfel vom Baum der Erkenntnis …

Also …
Im höchsten philosophischen Sinn ist „Kommunismus“ eine von der Materie angestrebte Entwicklungsrichtung. Sie setzt aber einen Grad der bewussten Einsicht in die Entwicklungszusammenhänge der menschlichen Gesellschaft und ein dem entsprechendes Handeln bei den Massen voraus, dass allein „gesunder Menschenverstand“ dies nicht erreichen kann.



Der Länge wegen teile ich den Entwurf für das Geschichtskapitel IM KOMoDo-Projekt auf. Der vollständige Text findet sich  h i e r.

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (10)

Eigentlich müssten wir von der Erdkugel herunterstürzen ...


Aber man erlaube mir zuvor noch ein Kratzen an gewohntem Denken:
Das, womit wir alle Erscheinungen, mit denen wir konfrontiert werden, bewerten, nennen wir selbstbewusst den „gesunden Menschenverstand“. Das klingt so, als wäre dies „dem Menschen“ gegeben. Versuchen wir lieber, an eben diesem, unserem eigenen „gesunden Menschenverstand“ zu zweifeln.
Lasst mich Folgendes behaupten: Die Erde ist eine Scheibe, über der sich die Sonne bewegt.
Das ist Unsinn? Gut. Einverstanden. Es weiß doch jeder, dass das falsch ist. Aber jeder sagt doch, ohne groß darüber nachzudenken, „Die Sonne geht auf“ oder „Die Sonne geht unter“. Ist das nicht auch „falsch“? Aber entspricht das nicht unseren alltäglichen Beobachtungen?
Stellen wir uns vor, wir hätten all die Zusammenhänge von Physik und Astronomie in der Schule nicht so gelernt, wie wir sie gelernt haben. Was sehen wir?
Die Sonne geht morgens auf, bewegt sich in jahreszeitlich unterschiedlichen Bahnen über den Himmel und geht auf dessen anderen Seite wieder unter. Das sieht jeder wirklich.
Nun stellen wir uns vor, wir hätten dies als richtige Beschreibung auch so in der Schule gelernt, verbunden mit der Erklärung, das alles sei der unergründliche Wille eines über dem Ganzen wachenden Schöpfers. Hätten wir daran gezweifelt? Wo kluge Leute unsere Beobachtung bestätigten?
Wie hätten wir reagiert, käme ein voreiliger Ketzer daher, der mit (für uns nicht nachvollziehbaren) „wissenschaftlichen“ Argumenten zu erklären versuchte, die Erde drehe sich als Kugel mit uns obendrauf um jene Sonne da? Hätten wir ihn nicht mit gutem Recht als Spinner verlacht? Hätten wir es nicht sogar gut geheißen, den Ketzer zu verbrennen, da er uns doch mit seiner Darstellung unseres Schöpfers und damit unseres paradiesischen ewigen Lebens zu berauben versuchte? Können wir heute so ehrlich sein, dass wir das, in eine andere Zeit hineingeboren und mit anderem Grundwissen gefüttert, wahrscheinlich so gesehen hätten? Mit wirklich „gesundem Menschenverstand“?!
Dieser Ketzer, der eine für heutige Verhältnisse „Allerweltsweisheit“ verbreiten wollte, hätte bei uns verdammt schlechte Karten, sobald wir uns in die Denkwelt der Zeit vor 1450 zurückversetzten … Nur weil wir ein neues Weltbild in der Schule gelernt und Bilder aus der Erdumlaufbahn gesehen haben, glauben wir Anderes zu wissen … In unsere uns natürlich erscheinende Denkwelt sind also Lehren Anderer eingeflossen.

Noch einmal: Wer kann sich NICHT vorstellen, er hätte sich unter anderen Umständen als den heutigen über die Vorstellung amüsiert, dass wenn in Australien ein Stein „nach unten“ auf die Erde fällt, er uns aus unser deutschen Sicht nach „oben“ entgegengeflogen käme? Er fällt uns doch sozusagen ein Stück entgegen! Oder hat noch niemand beim Betrachten des Globusses gedacht, die „da unten“ müssten runterfallen? Wenn nun unser Lehrer gesagt hätte, ja, natürlich fielen wir „dort“ herunter, aber es gibt die andere Seite ja nicht, wären wir auf glaubhaftes Wissen angewiesen, dass es die andere Seite doch gibt.
Für unser Verständnis „mit gesundem Menschenverstand“ ist es dabei belanglos, ob in der Schule mit Absicht, also wider besseres eigenes Wissen des Lehrers oder der ganzen Gesellschaft, oder aus allgemeinem Unwissen heraus etwas gelehrt würde, was „objektiv“ den realen Zusammenhang falsch darstellt. Der australische Junge könnte mit demselben Recht verwundert sein, dass wir nicht von der Kugel herunterfallen.



Der Länge wegen teile ich den Entwurf für das Geschichtskapitel IM KOMoDo-Projekt auf. Der vollständige Text findet sich  h i e r.

Dienstag, 27. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (9)

Kommunismus? Fast unvorstellbar ...


Normalerweise geht unser Verständnis von dem aus, was es kennt beziehungsweisewas es gelernt hat – wovon es also meint, es zu kennen. Auch, wenn etwas anders ist als das Bekannte, greifen wir zur Erklärung auf Bekanntes zurück – und finden auch etwas. Nun stehen wir aber beim „Kommunismus“ vor etwas völlig Unbekanntem und Neuem. Wir müssten also alle vertrauten Pfade verlassen. Aber Gnade, uns begegnen „Zeichenkombinationen“, die wir mit unserem erlernten Zeichensatz „lesen“ können. Dann tun wir das auf Teufel komm raus und versuchen die nicht identifizierbaren Zeichen auf schlecht geschriebene bekannte zurückzuführen. Schneller als eigentlich möglich haben wir uns unsere Meinung gebildet, bilden wir uns ein zu wissen.

Um ein paar Eigenschaften des Kommunismus vorausahnen zu können, hätten wir als einzigen Anhaltspunkt die Zeit vor den Klassengesellschaften. Nur … wir wollen doch nicht auf die Bäume zurück! Wir können höchstens überlegen, welche Denkweisen sich durch die zurückliegenden Jahrtausende Herrschaft zwischen den Menschen verändert haben könnten, welche also demnach sich wieder „zurückbilden“ müssten, wenn die Bedingungen, die sie gefördert haben, weggefallen sein werden. Den Hauptteil aller dieser heute als „natürlich“ und „selbstverständlich“ erscheinenden Denkweisen haben ja materielle Ursachen, die durch andere ersetzt sein werden.

Ein Teil der Formen sozialer und praktischer Vernetzung von Menschen ist heute noch nicht denkbar, weil die Beziehungen, die ihnen zugrunde liegen, noch nirgends vorgelegen haben.
Analogien zum „Urkommunismus“ produzieren eine unbestimmbare Zahl von Fehlern, da gerade die soziale Hauptfessel der „Ur-Menschen“ weggefallen ist: der materielle Mangel.
Also … Unser natürliches Denken bietet uns voreilige Schlüsse an, weil wir aus Bekanntem auf für uns absolut Ungewohntes zu schließen versuchen. Wir können uns nur mit „Krücken“ behelfen: Als solche brauchen wir Fantasie und die Logik, die wir aus dialektisch-materialistischem Schlussfolgern gewinnen können.






Der Länge wegen teile ich den Entwurf für das Geschichtskapitel IM KOMoDo-Projekt auf. Der vollständige Text findet sich  h i e r.

Montag, 26. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (8)

Der Sozialismus als Kachelofen


Nein, ich habe nicht vergessen, dass ich eigentlich hatte begründen wollen, warum ich das Scheitern der Novemberrevolution in Deutschland für die größte Katastrophe der Geschichte des 20. Jahrhunderts halte. Um es kurz zu sagen: Eben jenes Scheitern schuf damals bereits die Bedingungen, die danach allen „Realsozialismus“ am Entfalten hinderten – in gewisser Weise bis zu dessen Untergang. Aus dem Geburtsschaden des „Realsozialismus“ erwuchsen eben die meisten folgenden „Verirrungen“ in der Wirklichkeit. Dass dieser „Realsozialismus“ gewesen ist, wie er eben war, macht es nun auch so schwer, einem normalen Menschen zu erklären, wo wir tatsächlich hin gewollt hatten – und warum „wir“ immer noch dorthin wollen (müssen). Denn es ist ja wohl nicht zu bezweifeln, dass wir der angestrebten Gesellschaft in den „realsozialistischen“ Staaten wie der DDR zumindest näher gekommen waren. Aber um einen Preis, der ins „rechte“ Licht gerückt das ganze notwendige Projekt diskreditiert. Dabei wäre die Erfahrung, die wir mit dem „realen Sozialismus“ gemacht haben, vergleichbar mit einem Kachelofen, aus dem bei erster unsachgemäßer Bedienung Kohlenmonoxid ausgeströmt ist. Darf man daraus ableiten, für ewig Kachelöfen zu verdammen? (Es können aber andere Gründe für andere Heizungen sprechen.)

Die Perspektive Kommunismus muss von den Massen gewollt werden. Es reicht einfach nicht, einzelne Stückchen des „Kapitalismus“ nicht zu wollen, die gerade am meisten weh tun. Es reicht nicht einmal, den Kapitalismus insgesamt nicht zu wollen. Man muss auch etwas Anderes, Alternatives bewusst wollen und darauf hinarbeiten. Im Chaos des wirren Handelns der Vereinzelten reproduziert sich der Kapitalismus sonst immer selbst – und zwar als sozialdarwinistische Auslese der „Stärksten“. Also mit zumindest faschistoider Tendenz. Der „Sozialstaats-Kapitalismus“, den manche wieder haben wollen, war ausschließlich als Wirkung des Teilausstiegs aus dem Chaos durch den „Realsozialismus“ untergegangener Prägung möglich. Im „realen Kapitalismus“ können nur Starke ein vorübergehendes „Gleichgewicht“ bilden. Das heißt, es müssen ausreichend Gegenkräfte organisiert wirken, um den Kapitalismus in seinem Inneren weniger „kapitalistisch“ zu machen.
Es muss dazu wenigstens unterschwellig die Systemfrage im Raum stehen. Solange es um das Erzielen von Maximalprofit geht, wäre selbst ein Erfolg gegen die „Atomlobby“ eben nur der Umstieg in die nächste Gefahr für die Menschheit, mit der sich die dicke Knete machen lässt. So viel besser waren die Machtorgane des Realsozialismus nicht als die der kapitalistischen Staaten – trotzdem gab es in allen „Ostblock“-Ländern keinen relevanten Rauschgifthandel und keine damit zusammenhängende Kriminalität, keinen Menschenhandel, kein Rotlichtgewerbe, Ludentum usw.
Derartige besondere Profitmachereien gibt es trotz ihrer juristischen und ethischen Verfolgung in kapitalistischen Grauzonen weiter, während ihnen auf anderem gesellschaftlichen Boden einfach die Nahrung fehlt.



Der Länge wegen teile ich den Entwurf für das Geschichtskapitel IM KOMoDo-Projekt auf. Der vollständige Text findet sich  h i e r.

Eine Reise in eine andere Zeit und Welt

Aber ich muss noch einmal zeitlich weiter zurückgreifen. Schließlich ist es nicht allein Folge ausufernder Fantasie, dass ich mich leichter in fremdartige Denk-Welten hineinversetzen kann.
Im Anschluss an das Studium war mir nämlich eine Reise vergönnt, die mir in gewisser Hinsicht als eine Zeitreise vorkam. Dabei begann sie mit einem für mich typischen Reinfall. Gegen Ende des Studiums wurde ich mit einer Studentin verkuppelt, die ihre Semesterferien bereits verplant hatte. Ohne meine körperlichen Probleme zu berücksichtigen, stimmte ich spontan zu, mit ihr und ihren Freunden durch die rumänischen Karpaten zu wandern. Einfach Rucksack gepackt und los. Bei den ersten Beanspruchungen meiner Knie wurde dann deutlich: keine Chance. Alleine zurück? Sie hatte den rettenden Einfall. Wir trennten uns von den Anderen und zu zweit begann eine Tour, bei der ich nicht sagen kann, ob sie sich heute irgendwo auf der Erde wiederholen ließe ...

Unsere Route kann ich nicht beschreiben. Wir haben keine „offiziellen“ Stationen gemacht, also irgendetwas Hotelartiges aufgesucht, sind getrampt ohne konkretes Ziel. Höchstens: In der Gegend gab es viele Leute, die Deutsch sprachen. Solche Leute wollten wir finden, bei ihnen übernachten, uns unterhalten und Vorschläge bekommen, was wir als nächstes ansehen sollten. Es gab keine Kontaktprobleme und kaum jemand fuhr an uns vorbei, ohne zu halten und nach unserem Ziel zu fragen. Die Freundlichkeit war allgegenwärtig, beschränkte sich nicht auf die Solidarität der sich verfolgt fühlenden deutschen Minderheit. Für einen Deutschlehrer war schon die Begegnung mit Menschen, die ein „Deutsch“ von vor 150/200 Jahren sprachen, ein Erlebnis für sich. Gerade die Assimilierungspolitik unter Ceausescu förderte als Anti-Haltung das Festhalten an überlieferten Traditionen. (Insoweit kann ich heute die „Migranten“ in Deutschland leichter verstehen, dass sie sich nicht zu Deutschen dritter Klasse umwandeln lassen wollen.)
In einem abgelegenen Dorf geschah es dann. Wir waren ein Stück fröhlich in Richtung Ortsausgang gelaufen. Da überraschte uns ein Gewitterguss. Der Regen kam schneller, als ich das aufschreiben kann, und mit urwüchsiger Kraft. Vom nächsten Grundstück war eigentlich nur ein Rasenstück mit Baum zu erkennen. Liane reagierte und dirigierte schneller, als ich denken konnte. Ehe ich mich versah, hatten wir unser Zelt aufgebaut und waren darin dabei, uns aus den nassen Sachen zu schälen. Da hob sich die Plane am Eingang. Ein Frauengesicht tauchte auf. So wie zuvor vom Regen wurden wir nun von Schimpfworten überschüttet. Wir verstanden nur, dass die Frau Rumänisch sprach und unsere Versuche, auf Deutsch oder Englisch zu antworten, ignorierte. Nein: Wir verstanden noch, dass wir weg sollten.Wollte die Frau uns von ihrem Privatgrundstück vertreiben? Sie war ausdauernd und trieb uns in das Haus im Hintergrund, das wir bei dem dichten Regen überhaupt nicht gesehen hatten. Wir wurden in ein eigenes Zimmer mit Doppelbett und vielen Handtüchern eingewiesen und … kaum getrocknet hatten wir der „Hausherrin“ zu folgen:
In der „guten Stube“ empfing uns „die Familie“, die im Laufe des Nachmittags und Abends immer weiter anschwoll. Was sich da ereignete, war höchstens mit einer großen Hochzeitsfeier vergleichbar. Die Rumänen lebten zu dieser Zeit und in dieser Gegend extrem ärmlich. Uns waren Alte vertraut, die in Fahrzeugen, die „Busse“ zu nennen eine Schmeichelei war, mit Säcken zum nächsten Marktflecken unterwegs waren, um darin Fladen und anderes einfaches Essbares für die Gemeinschaft heranzubuckeln. Auf der Festtafel vor uns aber mangelte es an nichts. Immer wieder wurden wir genötigt, das und das und das zu probieren. Jemand, mit dem wir uns hätten sprachlich verständigen können, fand sich nicht. Uns zu Ehren (?!) wurde ein Fest wie für Staatsgäste abgehalten, das in der Menge des Aufgetragenen wohl das Monatseinkommen der Anwesenden überstieg. Übersättigt und stark angetrunken sanken wir letztlich irgendwann in unsere Himmelbetten. (Wir landeten im Schlafzimmer der Hausherren, merkten das erst später.)
Wir wurden verabschiedet wie gute alte Freunde – wenn auch in der Gewissheit, dass wir einander nie wieder sehen würden. Der Schock kam, als wir Mittagsrast machen wollten. Da stellte sich nämlich heraus, dass „jemand“ uns außer Fresspaketen noch Bierflaschen in die Rucksäcke gesteckt hatte. Dazu muss man wissen, dass Bier in jener Gegend nicht nur extrem teuer, sondern auch selten gewesen war. Der heimliche Beschenker war zurecht davon ausgegangen, dass wir diese Gabe nicht angenommen hätten, aber Bier eben das Getränk für Deutsche war.
Ich kann nicht einmal sagen, ob wir wenigstens auf Rumänisch „Danke!“ gesagt haben … (Zumindest den von den Anderen verwendeten Abschiedsgruß haben wir wiederholt.)

Ich gebe zu, ich wäre zu einer solch vorbehaltlosen Form der Gastfreundschaft Fremden gegenüber nicht fähig. Allerdings die Freude an der Feier konnten wir mitempfinden. Und wir erahnten zumindest das spitzbübische Vergnügen der Einheimischen bei der Vorstellung, mit welcher Verwunderung und Freude wir die heimliche Gabe entdecken würden. Nach unseren Maßstäben war diese unschuldige Freude allerdings extrem teuer „erkauft“.
Viel später wurde mir bewusst, dass wir eine Art „Potlatch“ erlebt hatten. Logisch, dass ich mich damit dann näher beschäftigte – ganz davon abgesehen, dass den Heranwachsenden in der DDR ein Stück Indianer-Romantik nahe gebracht worden war wie im Westen die Simulation des freien Lebens als Cowboy. Man nimmt bestimmte Werte unbewusst auf. Und die DDR-Indianerfilme (zumindest die ersten) waren sehenswert. Ich breche die Reisen in eigenes Erleben hier ab. Vielleicht ahnt man bis hier, welches Denken in der DDR entstehen konnte (wenn auch erst selten).

Von DDR-Nischen und menschlicher Entfaltung

Ohne den DDR-Staat abzulehnen allerdings auch nicht kritiklos anzunehmen, fand ich eine Nische genau für mich. Nur hatte mein „Nischendasein“ Formen, die nicht nur ihrer Zeit weit voraus waren, sondern heute schwer vorstellbar sind. Gut … Die Abteilung war in wechselnden Wohnungen untergebracht, also nicht auf dem Betriebsgelände. Die Kollegen hatten alle gut voneinander abgegrenzte Verantwortungsbereiche. Der Abteilungsleiter schirmte uns vertrauensvoll ab. Insoweit waren die organisatorischen Voraussetzungen für hohe Eigenständigkeit günstig.
Meine Aufgabe war eine Dienstleistung für das Kombinat. Der Außenhandelsbetrieb war darin zuständig für die gesamte Tätigkeit aller Kombinatsbetriebe im Ausland. Alle diese „Reise- und Auslandskader“ hatten vor der ersten Auslandsdienstreise (und dann rhythmisch) einen Lehrgang zu absolvieren. Was dort Gegenstand sein sollte, war in allgemeinen Ministeriumsplänen festgehalten. Allerdings war dies genau genommen ein geballtes Gesamtstudium Außenwirtschaft, Weltanschauung und Menschenqualität / Benehmen in der Öffentlichkeit in einem. Also eigentlich so weit gefasst, dass auf jeden Fall vom großen Plan abgewichen, sprich: gestrichen werden musste. Was das war, blieb den Bedingungen vor Ort überlassen. Ich hatte die tatsächlichen Lehrgänge zu planen und diese Planung auch praktisch umzusetzen. Dabei hatte ich freie Hand, woher ich welche Dozenten gewann (aufs Inland beschränkt). Es wäre wohl überhaupt nicht aufgefallen, hätte ich einige Tage nur Privatangelegenheiten erledigt. Da wäre ich eben auf Dozentensuche gewesen.
Das Maß an Kreativität bei der der Arbeit war sehr hoch. Ich hätte zwar auch ohne anzuecken etwas „zum Abhaken“ machen können, aber gerade weil ich es selbst wollte, jagte ich laufend Verbesserungen hinterher. Seltsamerweise schlug das besonders die schwächsten Glieder der Abteilung in den Bann. Wir „Verantwortungsträger“ teilten uns nämlich eine Sachbearbeiterstelle / Schreibkraft, die nach Bedarf für jeden von uns Hilfsarbeiten zu erbringen hatte. Die erste Kollegin war aber oft in Gedanken (und mindestens am Telefonhörer) beim Bändigen ihrer pubertierenden Tochter (sie war allein erziehend) – also „abwesend“. Ihr Ruf war demzufolge wenig berauschend: Faul, quatscht viel, hat von nichts Ahnung … usw.
Ich war nicht ihr „Chef“. Aber ich missbrauchte sie zum Ideentest und für organisatorische Aufgaben mit sehr komplexen Anforderungen. Ergebnis: Sie blühte allmählich auf. Sie entwickelte Vergnügen an der (Mit-)Lösung von Problemen, die nicht von vornherein lösbar schienen. Sie brachte sich in immer beeindruckenderem Umfang in die Arbeit ein. Schließlich wuchs in ihr Stolz darauf, was WIR geschafft hatten. Bei ihrer jüngeren Nachfolgerin war dies noch stärker. Während sie von den Anderen so behandelt wurde wie jemand, von dem man wenig hielt, konnte sie sich neben mir voll entfalten. Abgesehen davon, dass sie durchaus intelligent war, verstanden wir uns gut zu ergänzen. Über ihre weiblich charmanten Umgangsformen verfügte ich nun mal nicht – jeder zog aus dem Anderen die größten Nutzeffekte, zusammen erreichten wir ein Niveau, auf das wir uns einiges einbilden konnten und das jeder für sich allein nie erreicht hätte.
Beide Sachbearbeiterinnen wuchsen über sich hinaus, indem sie fast selbständig gestellte Aufgaben lösten … im Gefühl, dass eine schwierige Aufgabe von ihnen (mit) gelöst werden würde, weil genau sie das waren, ihre ganz persönlichen Qualitäten. An sich Banalitäten. Aber es kann schon beeindrucken, wie weit Menschen über ihren Schatten springen können, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Bei beiden Kolleginnen war die unterschwellige Verachtung, die ihnen meist entgegengebracht worden war, nicht von vornherein unberechtigt. Beide aber entfalteten eigene Qualitäten, sobald die als wertvoll angenommen wurden.

Sonntag, 25. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (7)

Das Kohlenmonoxid im Kachelofen ...


Unser menschliches Denken abstrahiert meist davon, dass auch in der Natur alle Prozesse an konkrete Bedingungen gebunden sind. Viele dieser Bedingungen nehmen wir gar nicht als solche wahr, weil sie uns als selbstverständlich gegeben erscheinen. Das sind sie ja meist auch.
Wer denkt schon darüber nach, wenn er ein Lagerfeuer entzündet, dass die dabei sich vollziehende Hauptreaktion an mehrere „Bedingungen“ geknüpft ist. Kohlenstoff reagiert mit Sauerstoff zu Kohlendioxid, wobei die erwünschte Energie frei wird. Bedingungen?! Na, Sauerstoff und Kohlenstoff müssen da sein … und was da brennen soll, sollte trocken sein. Da hört die Durchschnittsbetrachtung aber schon auf.
Wer käme auf die Idee, dass für diesen Vorgang mindestens noch ein „offenes System“ und demzufolge eine gewisse „Kälte“ (und das Fehlen anderer Stoffe mit ähnlichen Wirkungen wie das Wasser) gehört? Besonders die Kälte wird als „Vorsatz“ unterstellt – wir betreiben ja diese Verbrennung vorrangig, um uns zu wärmen. An das „offene System“ aber denkt kaum jemand.
Normalerweise werden alle Vorgänge so beschrieben, als vollzögen sie sich in einem geschlossenen System. Von allem, was „draußen“ passiert, wird abstrahiert. Es verkompliziert und lenkt ab. Das Lagerfeuer ist ja ein offenes System: Die Reaktionsprodukte und die Masse aller Energie entschwinden in den freien Raum.
Komplizierter wird die chemische Reaktion, wenn man sie in einen (Kachel-)Ofen verlegt. Hier wird das relativ offene System nur begrenzt künstlich hergestellt. Nun soll es Leute gegeben haben, denen war das System zu lange offen. Die drehten den Ofen zu. Es entstand ein relativ geschlossenes System. Relativ insoweit, als dass ein Teil der Energie weiterhin nach draußen abgegeben wurde. Das war im Sinn der Sache: Nicht der Ofen sondern das jeweilige Zimmer sollte ja wärmer werden. Aber im Verbrennungsraum verschob sich das Stoffverhältnis: Es verblieb mehr Kohlendioxid im System. Da es ausreichend heiß war, konnte ein Teil der Energie dadurch chemisch gebunden werden, dass sich das CO2 mit dem Kohlenstoff verband zu Kohlenmonoxid. Ein Teil dessen verließ jenes relativ geschlossene System, drang in das wiederum relativ geschlossene System „Wohnzimmer“ … und schläferte die dort Ruhenden dauerhaft ein.
Es reagiert eben Kohlenstoff nicht bedingungslos (nur) mit Sauerstoff …

Es ist die Verallgemeinerung erlaubt, dass „man“ bei JEDER Reaktion, die man bewusst herbeiführen will, die wesentlichen Bedingungen schaffen muss, die zum Ablauf erforderlich sind. Logischerweise muss man sie dazu kennen.
Nun gibt es den Begriff „objektiv“, den ich auch gern gebrauche. Der sagt in diesem Sinne „nur“ aus, dass eine „Reaktion“ immer stattfindet, wenn alle Bedingungen gegeben sind. Naturgesetzmäßig. Also unabhängig davon, ob man sie so beabsichtigt hatte.
Um auf das Kohlenmonoxid aus dem Ofen zu kommen: Selbstverständlich kann man die Reaktion auch vorsätzlich zum Suizid oder Mord benutzen. Es ist aber nicht die Frage, mit welcher Absicht zu einem bestimmten Augenblick der Ofen zugedreht worden war, sondern dass das dann geschah, als die Bedingungen für die CO-Redox-Reaktion besonders günstig waren.
Zum Nachdenken über die Verwendbarkeit eines solchen Bildes für gesellschaftliche Handlungsweisen sollte noch hervorgehoben werden :Im Umgang mit dem Ofen wurde immer mit mindestens einem Vorsatz gehandelt …

Man darf das nicht mit „Determinismus“ verwechseln. Um gesellschaftliche Vorgänge zu erklären, meinetwegen auch nur die psychologische Erklärung für das Handeln eines Menschen, müssen sie vereinfacht werden. Wir vernachlässigen immer Besonderheiten, die bei einem bestimmten Vorgang nebensächlich sind oder scheinen. Bauen wir ein geistiges System aus solchen Vereinfachungen, läuft es auf ein „Wenn …, dann …“ hinaus. So mag zwar die „Arbeiterklasse“ in ihrem „Wesen“ die Klasse sein, die berufen gewesen wäre, längst den Weltsozialismus errichtet zu haben, aber dann müssen wir eben betrachten, ob wir nicht zu viele Bedingungen vernachlässigt haben.



Der Länge wegen teile ich den Entwurf für das Geschichtskapitel IM KOMoDo-Projekt auf. Der vollständige Text findet sich  h i e r.

Scheitern als Chance ... Na, das war halt DDR

Während wir bei der praktischen Ausgestaltung des Studiums und im Ausreizen unserer Meinungsbildung in der „Sektion Marxismus-Leninismus“ große Freiheiten genossen, beobachteten wir bei den Studenten der Geschichtssektion Anderes. Dort wurde schulmäßig gegängelt. Ich entschied jedenfalls sehr frei darüber, welche Veranstaltungen ich tatsächlich in Anspruch nahm, und viele der Gedankengänge, mit denen uns unsere Professoren „bearbeiteten“, hätte nach heute üblichem DDR-Bild deren sofortiges Verschwinden in „Stasi-Knästen“ zur Folge haben müssen.
Einzig die „Freiheit“ zum Drogen“konsum“ hatten wir nicht – ich glaube aber nicht, dass mir da etwas entgangen sein könnte – mit Alkohol wurde die „Erfahrungslücke“ ausgefüllt. Klar wäre ich gern auch einmal durch die andere Hälfte der Welt gereist, aber mit offenen Augen durch die Länder des Ostens zu reisen war zumindest bereichernder, als sich an fernen Küsten zuzuballermannen.
Für meinen Gesamtweg war dann ein anderer Bruch Ausschlag gebend: Klar, ich konnte mich hinter den Stimmbändern verstecken. Aber wahrscheinlich wäre ich nie ein guter Lehrer geworden. Was den Umgang mit Schülern anging, bin ich eben eher „Coach“ oder Geistes-“Trainer“ für interessierte Gruppen als ein Massen dressierender Lehrer. An der ersten Einsatzschule nach dem Studium war ich aber der einzige Staatsbürgerkundelehrer, der alle Schüler der Schule in dem Fach zu unterrichten hatte – ohne sie je kennen gelernt zu haben. Vielleicht hätte man mir meine „Anfangsprobleme“ kameradschaftlich verziehen. Aber eine Kollision mit der Parteisekretärin der Schule vernichtete meine Position. Meine scharf antimilitaristischen Auffassungen, die natürlich auch nicht vor menschenfeindlichen Umgangsformen innerhalb der NVA Halt machten, stießen bei der „150prozentigen“ Genossin, deren beide Söhne begeisterte Offiziere waren, auf „machtvolle“ Ablehnung. So etwas wie mich konnte man nicht auf erst sich entwickelnde Persönlichkeiten loslassen. Als sich mein Scheitern immer klarer abzeichnete, schien mir die Konsequenz klar: Ich war im Kreis der Versager gelandet. Meiner damaligen Partnerin (und späteren Ehefrau) verdankte ich die Chuzpe, mich kreuz und quer zu bewerben, also auch für Aufgaben, die anspruchsvoller als die eines Lehrers erschienen. Ich wollte etwas – und ich bekam erneut eine Chance. Ohne recht zu ahnen, was mich erwartete, landete ich im Bildungsbereich eines Außenhandelsbetriebes.

Samstag, 24. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (6)

Revolution und Evolution oder wie das Wasser kocht


Schieben wir eine naturwissenschaftliche Vereinfachung ein, um die philosophischen Beziehungen von Qualität und Quantität, Revolution und Evolution zu veranschaulichen.
Der Übergang von flüssigem Wasser und Wasserdampf ist zum Beispiel eine Revolution. Als uns das in Studentenzeiten nahegebracht werden sollte, begann der Vortrag mit einer Unterstellung: Wasser in „Zimmertemperatur“ wird zum Kochen gebracht. So dargestellt ist der Vorgang bereits ein bewusst beabsichtigter. Diese Gerichtetheit war erforderlich, um folgende Frage aufzuwerfen: Welche aufgewandte Energie ist wichtiger: die, die gebraucht wird, um das Wasser von 20 auf 30, von 30 auf 40 … von 80 auf 90 Grad zu erhitzen oder die, die den Übergang der Wasserteilchen von ihrer flüssigen in die gasförmige Form ermöglichen? Nur dieser letzte Vorgang erscheint als „Revolution“ - das andere ist Evolution. Damit es aber zu einer solchen Revolution kommen kann, sind die entsprechenden Evolutionen, also die allmählichen Aufladungen der Wasserteilchen mit kinetischer Energie unumgänglich. Es gibt kein Teilchen, das direkt von 20 Grad auf Dampf umschlägt.
Um die Sache nicht zu sehr zu verkomplizieren, klammere ich jene Verdunstung aus, die aus der natürlichen Luftbewegung und der sich daraus ergebenden „Vermischung“ der Stoffe ergibt.
Trotzdem enthält das Modell bereits Haken, die auf unsere gesellschaftlichen Revolutionen übertragbar sind.

Von einer gegebenen Menge Wasser gehen „in der Natur“ nämlich nie alle Teilchen gleichzeitig vom flüssigen in den gasförmigen Zustand über. Man kann also unterscheiden zwischen „Revolutiönchen“, also Vorgängen bei jedem einzelnen Teilchen, und der „Revolution“ als Prozess. Letztere ist für uns interessant. Sie beginnt mit den ersten gehäuften „Revolutiönchen“ und endet, wenn alles Wasser verdunstet ist.
Hübsch zu beobachten sind Probleme solcher Revolutionen beim Kochen im Topf. Dort kommt erschwerend dazu, dass die ersten Wasserteilchen, die die Siedetemperatur erreicht haben, unten, also unmittelbar über der Herdplatte als Energiequelle, auftreten. Die müssen nun zwischen den kühleren Teilchen hindurch zur Oberfläche, sprich: zu ihrer individuellen Revolution. Dabei erwärmen sie die anderen mit – dadurch gibt es unter Umständen „Konterrevolutiönchen“, weil ein Teil der aufsteigenden Teilchen wieder abkühlt – mit steigender Gesamtwärme dampfen dann immer mehr in die Freiheit ab. Es verdampfen also im offenen Topf Wassertropfen, obwohl das Wasser noch nicht kocht.
Der Ablauf dieses Revolutionsspiels lässt sich manipulieren. Durch einen Deckel. Durch Gewicht auf dem Deckel. Auf diese Weise entsteht ein geschlosseneres System. Denn ein Teil der zugeführten Energie verbleibt im offenen System nicht in den zu revolutionierenden Wasserteilchen, sondern wird von der kühlen Umgebung abgezogen. Je bewegter diese Umgebung ist, umso mehr wird abgezogen. Ohne beständige Neuzufuhr von Energie hat das „Restwasser“ unter Umständen noch einen Moment 99, dann 98, 97 usw. Grad und aus ist´s mit Revolution. Steht dagegen der Inhalt des Topfes unter Druck, kann ein Teil der Teilchen deutlich mehr als die „normale“ Siedetemperatur haben … und bleibt trotzdem flüssig. Dieser Teil holt dann seine Revolution mit dem Entfernen des Deckels in kürzester Zeit geballt nach. Wie lange die beiden Abläufe zu beobachten sind, ist dabei nicht die Frage. Revolution ist der ganze Vorgang, durch den aus einem Topf mit Wasser ein Topf mit „Luft“ geworden ist.



Der Länge wegen teile ich den Entwurf für das Geschichtskapitel IM KOMoDo-Projekt auf. Der vollständige Text findet sich  h i e r.

Wie ich zum ungeeigneten Staatsbürgerkundelehrer wurde - eine weihnachtlich (fast) unbefleckte Empfängnis ...

Nun ja, die Angelegenheit geriet „natürlich“ später in die Fänge sozialistischer Bürokratie. Plötzlich hatte eine bedeutungslose Kollegin, die das „Büro für Neuererwesen“ verkörperte, etwas Reales zu tun. Und zwar etwas, was dem Ideal des Staates sehr nahe kam, hatten sich doch tatsächlich richtige Arbeiter mit Angestellten und Angehörigen der Intelligenz zusammengefunden, um einen Arbeitsablauf zu verbessern! Leider nur spontan. Von nun an sollte es also einen planmäßigen Rahmen bekommen. Wir sollten gezielt und geplant Verbesserungen erarbeiten. Wir erstellten auch tatsächlich ein Jugendobjekt. Allerdings bestand dessen Hauptkreativität in der Fixierung eines Nutzens, der nie eintreten konnte. Ich weiß nicht, wie klar das den Einzelnen war, aber mir begann die Sache peinlich zu werden. Die planorganisierte Nützlichkeit verwandelte sich in eine Form des Sich-in-die-Taschen-Lügens Ich suchte im Unterbewusstsein bereits eine Fluchtmöglichkeit. Es war nur vorübergehend ein Keim aufgegangen. So wäre unsere Gesellschaft geworden …
Ich behaupte nicht, dass dies tatsächlich Erlebte eine typische Erscheinung des DDR-“Sozialismus“ gewesen sei. Aber eben mein sicher nicht total untypisches konkretes Erleben.

Zu jener Zeit war ich mit einer Abiturientin aus Berlin zusammen. Die hatte außer vielleicht am „Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion“ noch nie einen Arbeiter in Natur gesehen (Der Vater war Mediziner und Edelgrundstücksbesitzer, die Mutter Hausfrau). Aber aus dem Staatsbürgerkunde-Unterricht nach Lehrbuch „wusste“ sie, was und wie die Arbeiterklasse war – und demzufolge nicht sein konnte – und zum anderen war ihr klar, dass jemand, der behauptete, so etwas Unmögliches erlebt zu haben wie ich, nur ein Klassenfeind sein konnte. Nun war ich immer sehr kritisch gewesen. Dass mir aber jemand, der keine Ahnung hatte und noch dazu meine Bettgefährtin war, nicht nur erklären wollte, was ich erlebt haben konnte (und was nicht), sondern auch, dass ich ein „Klassenfeind“ war, reizte meinen Widerspruchsgeist. Ich nicht auf der Seite des Sozialismus?! Du wirst schon sehen! Vielleicht bin ich bald selbst Staatsbürgerkundelehrer – ich weiß dann wenigstens, wovon ich spreche. Es war nicht nur ein Vogel, den ich gezeigt bekam. Dass ich das spontan Gesagte ernst meinen könnte, war meiner Partnerin nicht klar.
Aber gleich in der nächsten Woche lauerte ich am Arbeitsplatz auf eine Gelegenheit, allein das Telefon benutzen zu können. Die Nummer der Hochschule, die die von mir angestrebte Fachkombination Deutsch und Staatsbürgerkunde anbot, hatte ich mir bereits herausgesucht. Kaum war ich ungestört, erkundete ich mich dort, ob noch ein Platz frei sei. Deutsch / Staatsbürgerkunde nicht, aber Staatsbürgerkunde / Deutsch, bekam ich zur Antwort. Na gut, nehm ich. Was muss ich denn tun? Einen Antrag ausfüllen und zum Arzt und man schicke mir alle Formulare zu.
Das war im August. Im September desselben Jahres (!) begann ich mein Lehrerstudium. Die anderen Studenten hatten sich natürlich ein Jahr früher beworben und waren im Mai bereits zu einem Jugendlager zusammengetroffen.
Die Eile enthielt auch einen Bumerang, der später auf mich zurückfiel: Jeder zukünftige Lehrer wurde planmäßig gründlich unter anderem vom Hals-Nasen- und Ohrenarzt untersucht, nicht nur, aber auch auf die Eignung der Stimmbänder. Die waren aufgrund eines Bronchialinfekts bei mir in jenem August nicht zu begutachten. Der Arzt schrieb also, dass er keinen Befund erstellen könne. Während des Studiums stellte sich dann heraus, dass ich unter normalen Bedingungen nicht zugelassen worden wäre. Aber da ich nun einmal schon dabei war und ja wollte, konnte ich weitermachen.
Wenn ich heute von den vielen Bespitzelungen höre, muss ich laut lachen: So schnell, wie in meinem Fall eine absolut unbürokratische Lösung möglich gemacht worden war, war zu dieser Zeit technisch keine Akte anzufordern und zu sichten. Selbst hier, wo sich im Nachhinein eigentlich die spontane Entscheidung als Fehler herausstellte, war sie etwas Positives.
Darf man mir verübeln, dass ich das vergnüglich fand? Aus einer spontanen Tageslaune heraus landete ich auf einem Pädagogenplatz – und noch dazu auf dem des grausigen Rotlichtbestrahlers für unschuldige Kinder. Ja, so anarchisch habe ich Staatsbürgerkundelehrer werden können. Und mir ist nie ein „Stasi“-Schlapphut mit dem Wunsch nach einer „Verpflichtung“ begegnet (aus anderen Gründen auch nicht) – ich war damals nicht einmal Mitglied oder „Kandidat“ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Das war nicht Bedingung. Später habe ich mich darum bemüht, dies zu ändern. Das war schwierig. Ich nahm es allerdings auch ernst mit der Auswahl meiner Bürgen. Ich hatte meine Freiheit voll ausgereizt und erwartete nicht von vornherein, dass man ausgerechnet mir Vertrauen entgegenbrächte – brachte man aber.

Freitag, 23. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (5)

Zur Zeit zwischen Kapitalismus und Sozialismus ...


Was liegt denn hinter uns: Lebensschreie einer Steißgeburt. Schafften wir es, etwas mehr „weltgeschichtlich“ auf die DDR und jenen damaligen „Realsozialismus“ zurückzublicken, dann müssten wir uns eigentlich wundern, welch gewaltige Leistungen dieses unter ungünstigsten Bedingungen ans Licht gekommene Etwas trotzdem erreicht hat.
In gewisser Hinsicht war diese frühe Gemeinschaft selbstmörderisch sozial. Leider war dies mit einem Haufen von zerstörten Illusionen verbunden, die ihren Teil zum Zusammenbruch beitrugen.
Zu den Illusionen gehörte das totale Verkennen des Gegners. Klar. Heute ist einigen in den „eigenen Reihen“ die Maske vom Gesicht gefallen. Sie haben sich als Hirngeschwülste eingebildeter Macht geoutet, waren schlicht Verräter. Mal selbstverliebt wie Gorbatschow, der sich heute darin sonnt, wenn „Mächtige“ ihm die Hand geben – und der sich, wäre alles anders gekommen, wohl als Erfinder eines „offenen“ Sozialismus feiern ließe. Mal einfach eklig und persönlich gefährlich voll Mitmenschen-Verachtung wie Bezirkssekretäre der Schabowski-Art. Ohne sie wäre das Zurückdrehen des Zeitenrades nicht möglich gewesen. Dann all die offenen „Klassenfeinde“. Einige von ihnen schafften es sogar, philosophisch-politischen Unsinn in die Theorie der Staatssozialisten zu schleusen - die Floskel von der „Friedensfähigkeit des Imperialismus“ zum Beispiel. Der Expansionsdrang des Kapitalisten endet immer nur an den Mauern der Stärkeren – und bei Strafe seines Untergangs muss er nach Überwindung dieser Mauern suchen, Krieg eingeschlossen.

Leider überließen die „Klassiker“ der „marxistischen“ Weltanschauung an manchen Stellen unscheinbare, aber wesentliche Löcher im geistigen System. Eines davon war der Gedanke, dass es nicht nur einen umfangreichen Übergangszeitraum vom Kapitalismus, also der letzten auf Ausbeutung aufgebauten Klassengesellschaft, zum Kommunismus als klassenloser Gesellschaft geben muss. Diesen einen Übergangszeitraum, den man großzügig einer gemeinsamen „kommunistischen Gesellschaftsformation“ zurechnet (worüber man in 50000 Jahren die Achseln zucken wird) und den man Sozialismus nennt.
Da Marx eben vom im Wesentlichen weltweit „gleichzeitig“ erfolgenden Übergang der durch die Arbeiterklasse geführten Menschheit von der alten in die neue Ordnung ausging, hatte er keine Veranlassung, über den Charakter einer „Weltgesellschaft“ nachzudenken, die nur teilweise diesem „Sozialismus“ näher gekommen war. Und Lenin wich der Systemfrage einfach aus: Als er merkte, der Sprung würde nicht wunschgerecht landen, hielt er vorsichtshalber den „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ für möglich. Ansonsten hätte er den Menschheitstraum grundsätzlicher „Gerechtigkeit“ in unbestimmbare Ferne verschieben müssen. Nein, das konnte er nicht verantworten - er probierte das Mögliche … Eines aber war nicht möglich: der Sozialismus. Für ihn konnten nur einige Grundlagen geschaffen werden.
An dieser Stelle stelle ich einfach wieder eine Behauptung in den Raum: Alles, was wir bisher an über den Horizont des Kapitalismus Hinausweisendes praktisch erlebt haben, war im originär marxistischen Sinne noch kein „Sozialismus“; „Kommunismus“ schon gar nicht. Wenn wir schon Begriffe brauchten, dann war dies am ehesten eine maximal „abgebremste Revolution“. Es waren „Übergangsgesellschaften“.
Wir dürfen uns dabei „Revolution“ nicht im engsten politischen Sinn als eine „Machtergreifung“ vorstellen, Im philosophischen Sinne beschreibt der Ausdruck „Revolution“ den relativ schnellen Übergang von einer „Qualität“ zu einer tatsächlich grundsätzlich neuen.
Nun dürfen wir uns „schnell“ nicht aus der Perspektive eines Menschenlebens vorstellen. Bei der Frage der „kommunistischen Gesellschaftsformation“ geht es darum, eine menschliche Kultur zu erschaffen, die über 10000 Jahre „Klassengesellschaft“ mit ALLEN ihren Elementen ins Grab der Geschichte versenkt. Was die Menschheit in ihrer gesamten Entwicklung aus dem Tierreich hervorgebracht hat, wird auf neuer Grundlage gestaltet. Die Menschheit gestaltet ihre Welt als Ganzes erstmals bewusst und vorsätzlich geplant. Erstmals kann sie das. Schon allein deshalb ist „die Revolution“ nicht mit dem Schuss eines Panzerkreuzers vollbracht, sondern damit beginnt erst der lang andauernde Prozess. In diesem Sinn kann sogar der gesamte „Sozialismus“ noch als „evolutionäre Revolution“ verstanden werden. Also es muss sich das grundsätzlich Neue erst entwickeln. In ihm sind BESTIMMTE GRUNDLAGEN notwendigerweise real vorhanden, während andere sich darauf aufbauend erst allmählich ausprägen. Das schließt nicht aus, dass entgegen Marx, Engels und Lenin selbst der Übergang vom Sozialismus zum entwickelten Kommunismus von der Form her „revolutionär“ vollzogen werden wird. Das wäre unter anderem abhängig von der Stärke der institutionalisierten Bürokratie. Vom philosophischen Wesen her ist er auf jeden Fall eine Revolution.



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Donnerstag, 22. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (4)

Ein Was-wäre-wenn-Spiel ...


Also spielen wir einmal das unwissenschaftliche Was-wäre-gewesen-wenn-Spiel und stellen Überlegungen an, was sich beim Sieg einer sozialistischen deutschen Novemberevolution für die Welt wahrscheinlich alles verändert hätte.

Als sicher anzusehen wäre ein anderer Verlauf des Interventions- und Bürgerkrieges gegen das junge Sowjetrussland. Wahrscheinlich wäre dieser Krieg mit weniger weißem Terror und damit weniger rotem Gegenterror zu Ende gegangen.
Sicher hätte auch das, was wir als „Versailler Vertrag“ und seine Umsetzung kennen, anders ausgesehen.
Sicher ist drittens, dass eine richtige Volksmacht zum Aufbau des Sozialismus die Entwicklung des Faschismus in Deutschland verhindert hätte.
Als sicher kann angesehen werden, dass es den Weltkrieg Nummer 2 nicht in der uns bekannten Art gegeben hätte (mit der deutschen Kriegsschuld also).
Zu diesen Punkten mit sehr hoher kommen solche mit hoher Wahrscheinlichkeit. Der wesentlichste darunter ist die Erwartung, dass auch in anderen europäischen Ländern positivere Entwicklungen wahrscheinlicher gewesen wären. Ich denke da u.a. an das Schicksal der ungarischen Räterepublik oder die italienische Entwicklung zum ersten „Faschismus an der Macht“. Da ließe sich viel spekulieren.
Entscheidend ist etwas Anderes: In der realen Geschichte hatte 1922 ein Anlauf zum Sozialismus nur auf einem Stück Welt überlebt, wo zu diesem Zeitpunkt auf dem Gebiet der „Produktivkraftentwicklung“ nur minimale Ansätze für eine überlebensfähige sozialistische Gesellschaft vorhanden waren. Dies fast nur wegen der Weite des Landes. Eine Welt von Hinterweltbauern, die teilweise auf einem Entwicklungsniveau verharrten, das die deutschen bereits zur Reformationszeit überwunden hatten. Dem standen ein paar dünn gesäte Leuchttürme des Fortschritts gegenüber. Weltweit isoliert, gezwungen, aus eigener Kraft in einen Rundum-Fortschritt zu rasen. Und durch Krieg und Nachkrieg waren sogar frühere Wirtschaftsteile zerstört, während ein autarkes System aufgebaut werden musste. Alles selber machen von allen Rohstoffen, allen Grundindustrien bis hin zu allen Endfertigungen / Bedürfnisbefriedigungen … mit einem Minimum an Fachkräften - auf der anderen Seite erwartete man von dem einzigen „Sieger“ in den Reihen der sozialistischen Bewegung Führung in jeder Ebene.
Nun stelle man sich vor, an der Seite des Rohstofflands Russland hätte wenigstens die – wenn auch vom Krieg zurückgeworfene – Industriemacht Deutschland gestanden. Für den Mathematiker wäre das ein Entwicklungsvergleich wie wenn man 4 x 4 x 4 x 4 an die Stelle von 2 x 2 x 2 x 2 setzt. Anfangs „nur“ jeweils doppelt gute Ausgangsposition, aber bald stünde es 256 : 16! Allein was die gegenseitige wirtschaftliche Befruchtung beträfe ...
Dazu wäre noch etwas Anderes gekommen: Eine objektiv bessere Ausgangslage für innere Demokratie. Wie war die Wirklichkeit? Ein alleiniger Riese konnte gleichberechtigte Mitsprache höchstens simulieren. Es war doch irgendwie selbstverständlich, dass eine Macht, die fast 30 Jahre sich hatte irgendwie einrichten müssen, allein klarzukommen, nach dem nächsten Krieg Schwierigkeiten mit der „Gleichberechtigung“ von Partnern haben musste, die ohne sie allesamt nicht lebensfähig gewesen wären (von der Führungsrolle der einzigen Siegerpartei ganz abgesehen).
Wie anders hätte das objektiv sein können, wenn von Anfang an ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten zum gemeinsamen Vorteil bestanden hätte. (Ich möchte das Rapallo-Vertragswerk ja nicht auf Null setzen, aber hier geht es um die Ausgestaltung eines Wirtschaftsystems.)
Ich darf sogar auf anderer Ebene spekulieren: Ohne den deutschen Faschismus wäre die Atombombe zumindest nicht zu jenem Zeitpunkt einsatzreif gewesen. Ohne die amerikanische (hier wage ich den Ausdruck „amerikanisch-deutsche“) Atombombe wäre die Anstrengungen der Sowjetunion zum Gleichziehen (noch) nicht nötig gewesen – unmittelbar nach der Weltkriegsverwüstung des eigenen Potentials, also zu einer Zeit, wo dieses Land wahrlich Wichtigeres hätte tun wollen.
Aber es war ja nicht der Weltkrieg allein und die Angst danach, gleich wieder in den nächsten mit einem übermächtigen Gegner zu geraten. Es war eben die Hektik, mit der superschnell eine sowjetische Tonnenschwerindustrie aus dem eigenen Lebensstandard herausgeschnitten worden war – wenn man die folgenden Panzerbaukapazitäten berücksichtigt, zu Recht. Das hatte sowohl wirtschaftliche Folgen als auch „ideologische“: Wann hört eine einmal bewährte Tonnenideologie auf, sinnvoll zu sein? Wann ist der Punkt gekommen, wo an die Stelle des Kommandierens, der Kommissare, die das letzte Wort haben, Wirtschafts- und Gesellschaftsdemokratie treten kann … und muss? Wenn es doch so oft nur mit Gewalt hatte gehen können? Mensch ist Mensch – auch wenn er „Kommunismus“ leicht über die Lippen bringt. Und eine „bewährte Methode“ gibt man nicht so leicht auf.
Auf der anderen Seite steht die menschliche Anpassung: Wenn eben immer der Kommissar das Richtige gesagt hatte – allein deshalb, weil er der Kommissar war - dann betäubt das die Selbstüberwindung zum Mitdenken. Dies vor allem unter Bedingungen, wo Väterchen Zar so glatt von einem Generalissimus abgelöst worden war.
Diese Menschen „frei“ zu lassen, ihre Geschicke in eigene Hände nehmen zu lassen, ist dasselbe wie Menschen, die Monate lang in einer finsteren Höhle gehaust haben, ins Licht hinauszuscheuchen. Sie werden anfangs geblendet, hilflos … in die nächste dunkle Ecke torkeln.
Nein, ich behaupte nicht, das dies allein die Geschichte des „Realsozialismus“ erklärt. Sobald man aber diese Aspekte weglässt, entsteht ein verzerrtes Bild. Jeder einzelne Fehler im „Realsozialismus“ hätte als Einzelfall wahrscheinlich vermieden werden können – sie alle lassen sich aber als Masse von Fehlern auf die ungeeignete Ausgangslage zurückführen.



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Mittwoch, 21. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (3)

In der Geburtszeit von "Staat und Revolution"

Die Antwort fällt leichter, wenn man berücksichtigt, dass Marx aus der prinzipiellen Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft – die er für die Vergangenheit aufzeigen konnte – die Notwendigkeit und Möglichkeit der weiteren Entwicklung, einschließlich der diese Entwicklung tragenden Kraft ableitete. Die „Arbeiterklasse“, so meinte er, sei die erste Klasse, die dank ihrer Rolle in der Produktion – nämlich doppelt „frei“ zu sein (von vorgeschriebenen Abhängigkeiten und von Eigentum) –die Klassenherrschaftsverhältnisse als Ganzes beseitigen könne. Diese Arbeiterklasse entwickelte sich in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts stürmisch … entfaltete aber außer der Pariser Commune kaum wesentliche Aktivitäten, ihrer eigenen Führungsrolle im Weltgeschehen gerecht zu werden.
Erst mit dem Ersten Weltkrieg war eine „revolutionäre Situation“ am Reifen: Eigentlich verlief der Krieg ja für keine Seite ganz nach Wunsch. Mehr oder weniger sah es danach aus, dass die Herrschenden nicht mehr auf die bisherige Weise würden weiter herrschen und die Beherrschten nicht mehr so weiter leben könnten wie bisher. Das Mehr traf besonders für Deutschland zu, je mehr sich die Unmöglichkeit eines Sieges abzeichnete, während die Volksmassen richtige Hungersnöte durchlebte.

Unter diesen Bedingungen schrieb Lenin sein gern verkanntes Buch „Staat und Revolution“, in dem er das Ziel einer sich sozialistisch auflösenden Klassengesellschaft so „wissenschaftlich“, wie es zu jener Zeit maximal möglich war, beschrieb. Gern wird viel in Ausführungen hineingedeutet, die er nur wenige Monate später machte (hauptsächlich die „Aprilthesen“), in denen er scheinbar grundsätzliche Positionen wieder korrigierte. Das hat er aber eben nicht.
Zum dialektischen Denken gehört auch, sich darüber klarzuwerden, auf welcher Ebene man sich gerade bewegt. Und „Staat und Revolution“ beschrieb eine Welt (!!!) des „Sozialismus“, auf die hinzusteuern 1916 theoretisch notwendig war und möglich schien – während 1917 die Kräfte miteinander rangen, die einen solchen Weg gerade praktisch einleiteten. Nun stellte sich die Frage auf einer Ebene, auf der man zwar Sozialismus haben wollte, aber mindestens in wesentlichen Teilen der Welt noch nicht hatte und wahrscheinlich haben konnte.
Noch immer bestand Grund zur Hoffnung: Wir (also die Bolschewiki) stehen an unserem Platz, erfüllen unsere Pflicht, andere stehen an anderen, um dort die ihre zu erfüllen. Eine besondere Rolle kam dabei Deutschland zu. Hier waren die weltgrößten Potenzen der inneren Wirtschaftskraft konzentriert. Die Weltmacht Nummer eins, England, war durch die Ausbeutung ihrer Kolonialwelt stärker ein „Rentnerstaat“, wo den Bewohnern mehr Almosen zugeworfen wurden.
Sowohl der relative Sieg der russischen Oktoberrevolution als auch die Niederlage aller die bürgerlichen Horizonte übersteigenden Elemente in der Novemberrevolution in Deutschland hatten zwar konkrete Gründe, beide Ergebnisse waren für sich genommen aber nicht so zwingend notwendig, wie beispielsweise der „Ausbruch“ des Weltkriegs (bei dem nur der Anlass, also das Datum des Beginns Zufall gewesen war.) Dass – um nur ein Beispiel zu nennen – die Kommunistische Partei Deutschlands nicht schon am 30.12.1917 gegründet wurde, war kein Sachverhalt, den Lenin im April 1917 hätte berücksichtigen können.


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Von erlebter Planung, Suff am Arbeitsplatz und einem Wandel zu Neuerern und Volkseigentümern

Nach dieser Erfahrung landete ich in einem der Schweriner Großbetriebe. ORSTA Hydraulik war innerhalb eines „Kombinats“ der Endfertigungsbetrieb für große hydraulische Anlagen. Ich wurde in der Materialwirtschaft eingesetzt. Eine hydraulische Anlage besteht im Wesentlichen aus drei Grundelementen: einem Motor, einer Pumpe und Zubehör. Ich war zuständig für bestimmte Zubehörteile, namentlich Hydraulikventile und Verschraubungen. Vielleicht nicht gerade die Perspektive, von der aus eine Volkswirtschaft zu erklären ist, aber meine ...
Es gab natürlich einen spezifizierten Plan, welche Aggregate wann in welcher Zahl zusammenzubauen gewesen wären, welche Einzelteile und Baugruppen also pünktlich hätten zur Verfügung stehen müssen. Antworten auf die Frage, warum die benötigten Aggregate jeweils nicht zur Verfügung standen, drangen nicht bis auf meine Ebene herunter. Dass sie nie so ankamen, wie es ursprünglich geplant war, merkte jeder. Da dann permanent versucht wurde, einen korrigierten Plan vorzulegen, der eventuell umsetzbar gewesen wäre, gab es im Laufe der Zeit bald niemanden im Betrieb, der die anfängliche Planung noch ernst nahm. Letztlich lief alles darauf hinaus, gegen Ende der Monate an die Zahlenfront zu werfen, was dann wirklich montierbar war. In diesem Chaos spielte meine Abteilung eine verständlicherweise eher untergeordnete Rolle. Jeder sah ein, dass kein Aggregat ohne die passende Pumpe und ihren Motor entstehen konnte. Wenn dann zu erahnen war, welches Aggregat Chancen hatte, tatsächlich noch im laufenden Monat gebaut zu werden, galt es, irgendwie auch noch den Kleinkram dazu zu besorgen.
Nun hat so eine „Planung“ Konsequenzen: Die unmittelbare Montage sollte jeweils dann beginnen, wenn alle zu montierenden Teile am Montageplatz vorlagen … EIGENTLICH eine sinnvolle Vorgehensweise. Zur detaillierten Planerfüllung gehörte auch, die Kleinteile nach dem Ausgangsplan aus dem Lager in die Montage zu bringen. Gelegentlich geschah dies auch. Im seltensten Fall wurde ja aber wirklich nach dem Ursprungsplan produziert. Wer also gut gearbeitet hatte, musste doppelt arbeiten, weil die planmäßigen, aber unter den neuen Vorgaben nicht verwendbaren Teile nun der tatsächlichen Fertigung im Weg waren. Das Ergebnis bei den Lagerarbeitern war eine pervertierte Form von Dienst nach Vorschrift: Sie rührten nichts mehr an, wovon sie nicht wussten, dass auch die anderen Bauelemente vollständig vorlagen. Da diese Bedingung mindestens an den ersten 22 Tagen jedes Monats fast nie erfüllt war, rührte sich in meinem Lagerbereich in dieser Zeit so gut wie nichts. Da es aber ausgeschlossen war, drei Wochen hintereinander tatsächlich NICHTS zu tun, wurde saufend und Karten spielend beieinandergesessen. Dieses System hatte noch weitere für die Lagerarbeiter angenehme Nebeneffekte: An den letzten Tagen der Monate „brannte die Luft“: Da musste all das bis dahin Versäumte mit den nun tatsächlich vorhandenen Teilen nachgeholt werden. Denn letztlich sollten die Pläne ja sogar übererfüllt werden. (Irgendwelche sind wirklich übererfüllt worden.) Die Arbeit war nun in regulärer Arbeitszeit nicht zu bewältigen. Da wurden Sonderzahlungen lockergemacht, nur damit sich die Arbeiter an Wochenenden im Betrieb sehen ließen – neben den „normalen“ Zuschlägen, versteht sich.
Diese Situation war der Normalzustand, als ich meine Arbeit im Produktionsbetrieb aufnahm. Naiv wie ich war, versuchte ich nun umzusetzen, was ich umsetzen sollte. Stieß auf lauter Unmöglichkeiten. Musste, um etwas (oder jemanden) zu bewegen, die Arbeiter mit Wodka ködern. Vieles wurde auf dieser Basis möglich. Von Abteilungsleitern aufwärts war „unten“ normalerweise niemand zu sehen. Man könnte meine Eindrücke „Kulturschock“ nennen. Irgendwie verging mir beim Anblick der die Arbeitszeit totsaufenden Kollegen die Illusion von der Arbeiterklasse an der Macht und vom „Volkseigentum“ … Sahen so „Eigentümer“ aus? Angetrunkene in Erwartung des nächsten „Schicksalsschlages“ namens „Plankorrektur“?
Wie gesagt, ich brachte den „Lunikoff“ mit, wenn ich etwas wollte, und die Arbeiter, überwiegend junge Leute, kümmerten sich dann um „mein“ Problem. Dass wir voneinander nicht besonders viel hielten, verheimlichten wir nicht, aber der „Sesselfurzer“ kümmerte sich eben und das würdigten sie auf ihre Weise …
Schon beim zweiten Mal war ich gefordert, wenigstens mit anzustoßen. Trotz aller Vorbehalte gegeneinander kamen bald Gespräche zustande. Eines dieser Gespräche drehte sich um Verschraubungen für Ventile, von denen bei mir buchtechnisch viele vorrätig waren, von denen die Arbeiter aber behaupteten, sie seien alle. Nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, dass die Gesuchten bei einem der Aggregate vor der Montage gegen die Originalverschraubungen ausgetauscht wurden. Die laut Plan vorgesehenen passten nämlich nicht. Je länger wir uns unterhielten, umso spannender wurde die Angelegenheit. Konnte es sein, dass da irgendwo ein Fehler vorlag?
Es lag einer vor. Der war, wie´s aussah, bereits bei der Projektierung entstanden. Plötzlich ahnten wir, dass wir sowohl Arbeitszeit als auch Material einsparen konnten. (Die abmontierten nicht passenden Verschraubungen wurden bisher als Abfall behandelt.) Da es weder leicht war, den schuldigen Punkt zu finden noch fachgerecht zu formulieren, wo was verändert werden musste, wuchs eine kleine Forschungsgemeinschaft zusammen. Dieselben Menschen, die während der ganzen vorangegangenen Zeit sich eigentlich als gesellschaftliche Schmarotzer aufgeführt hatten, empfanden sich plötzlich als Miteigentümer, die selbstverständlich sparsam mit „ihrem“ Volkseigentum umgehen wollten. Man erkannte sie kaum wieder. Aus den Säufern wurde eine Jugendbrigade. Plötzlich ging es um „uns“ - unseren Staat, unsere Gesellschaft, etwas, was wir verbessern konnten. Eine für mich unglaublich erscheinende Wandlung.

Dienstag, 20. Dezember 2011

Scheitern und meine spezielle Wehrdienstverweigerung in der DDR

Es folgte eine beruflich extrem wilde Zeit. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre ich dabei in einer heutigen, also „kapitalistischen“ Gesellschaft versumpft. Genauer: Ich hätte so viele Sprünge einfach nicht geschafft. Zumindest hätte ich meinen Lebenslauf da wohl entweder fälschen müssen oder zu akzeptieren gehabt, dass ich, als unzuverlässig abgestempelt, zu den meisten Vorstellungsgesprächen überhaupt nicht eingeladen worden wäre. Innerhalb von drei Jahren wechselte ich zwischen drei Berufen in Handel, Kultur und Industrie, wurde ich von der „Nationalen Volksarmee“ nach einem halben Jahr als unverdaulich wieder ausgespuckt und … fand dank der erwünschten Praxiserfahrungen einen Studienplatz als künftiger Lehrer. Ich blicke auf viele Details heute mit Verwunderung zurück. Eigentlich hätte es das alles nicht geben dürfen. Es gab mich aber ...

Es wäre mir sicher möglich gewesen, nach der 8. Klasse aufs Gymnasium zu wechseln. Diese Einrichtung hatte aber bei uns den Ruf, nur etwas für strebsame Mädchen zu sein. Außerdem hatte ich keinerlei Berufsziel. Nur auf die Frage, was ich NICHT wollte, hätte ich eine Antwort gehabt: Mein Geld mit körperlicher, besonders handwerklicher Arbeit zu verdienen. Aber positiv etwas wollen?
Mein Vater hatte sich dafür eingesetzt, dass ich einen der drei Ausbildungsplätze zum „Wirtschaftskaufmann mit Abitur“ in seinem Betrieb bekam. Mutter und Schwester waren Verkäuferinnen, also im Handel, Vater in der Großhandelsgesellschaft „Waren täglicher Bedarf“. Die Ausbildung interessierte mich … nicht. Ich konnte ja aber nicht nichts machen. Wenigstens war ich „untergebracht“. Ich durchlief in der Ausbildung die verschiedensten Abteilungen und Bereiche des Betriebes, der für die Versorgung Schwerins mit Waren des täglichen Bedarfs zuständig war. Ich wurde als kleiner Sachbearbeiter in der Süßwarenabteilung übernommen. Kein Traumjob, aber zumindest kam ich mit den Kollegen zurecht und die mit mir.
Doch das Verderben lauerte schon: die Einberufung zum Grundwehrdienst bei der „Nationalen Volksarmee“. Um die Rolle des „Ehrendienstes“ bei den „bewaffneten Organen“ für Jungen rankten sich viele Legenden. Die wichtigste: Nur wer sich freiwillig wenigstens für drei Jahre verpflichtete, bekäme einen Studienplatz. Ich hatte zwar noch immer keine Vorstellung, WAS ich eventuell studieren könnte, aber dass ich das irgendwann tun würde, wollte ich mir nicht verbauen. Aber dafür zur Armee?! Eher nicht! Also begann ich die Pflicht-Dienstzeit mit der Absicht nicht aufzufallen. Stattdessen leistete ich mir erst einen kleinen Unfall und sorgte dann mit regelmäßigen Fingern im Rachen für Erbrechen. Schließlich wurde ich nach einem halben Jahr ins zivile Leben entlassen. Einziges Problem: Ich war nun ein Jahr zu früh in Freiheit. Der Betrieb musste mich zwar wieder aufnehmen (so war das halt in der DDR), aber der Platz in meiner Abteilung war besetzt. Der einzige freie Platz im Betrieb war einer in der Kosmetik-Reklamationsabteilung. Klar, dass ich so schnell wie möglich irgendwo anders hin wollte. Ich ahnte noch nicht, welche psychischen Schäden die Armeezeit hinterlassen hatte, wie lange die Schreibblockade anhalten würde, also nahm ich noch einen Anlauf in Richtung Schreiben … Dass ich als „kulturpolitisch-künstlerischer Mitarbeiter für künstlerisches Wort beim Kreiskabinett für Kulturarbeit“ alles besonders gut machen wollte, sieht man wahrscheinlich ein. Aber der Ausflug in die Welt der Kulturorganisation wurde zum Fiasko. Gleich der erste Auftritt bei einer höheren Charge im Kreis, konkret beim Direktor des einzigen Gymnasiums, misslang und führte zu einer handfesten Beschwerde.
Meine Vorgesetzte zog daraus den Schluss, dass ich wohl doch etwas zu grün für die Aufgabe sei und ich mir lieber Praxis in einem Produktionsbetrieb holen solle. Heute wäre dies ein Rauswurf in der Probezeit gewesen, damals gönnte man mir etwa ein halbes Jahr, mir etwas Geeignetes zu suchen. Diese Zeit verbrachte ich überwiegend mit Basisarbeit bei Schreibenden und Laienkabarettisten in Betrieben und mit der Erarbeitung von Muster-Programmen zu allen möglichen Fest- und Gedenktagen. Ein besonderes Vergnügen bereitete es mir, zum „Tag der Nationalen Volksarmee“ ein expressiv antimilitaristisches Programm zu verbreiten. Es war eine besondere Genugtuung, dass nun Danksagungen aus mehreren Betrieben im Kreiskabinett ankamen. Wahrscheinlich hatte man nichts als trockene Lobhudeleien erwartet.

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (2)

Dialektik in der Geschichte


Dazu muss ich einen Ausflug in das verschachtelte Weltanschauungssystem des „Marxismus/Leninismus“ wagen. Zu ihm gehört Philosophie, politische Ökonomie und das, was manche „wissenschaftlichen Kommunismus“ nennen. Eine Stufe sachlicher der „dialektische und historische Materialismus“. Den kann man am kürzesten so beschreiben: Alles, was existiert, ist materiell und insoweit erkennbar (nur evtl. noch nicht erkannt) und dementsprechend veränderbar. Unser Bewusstsein spiegelt das Materielle wider, verändert es aber auch dabei.
Dialektik ist eine Weltsicht in Zusammenhängen. Alles ist Gewordenes (und Vergehendes) und steht in Wechselwirkung mit der „restlichen“ materiellen Welt. Das Materielle in der menschlichen Gesellschaft sind seine wirtschaftlichen Beziehungen, die aus dem Entwicklungsstand der „Produktivkräfte“ erwachsen: So wie die technischen Möglichkeiten einer Produktion entwickelt sind, so finden sich die Menschen in „Verkehrsverhältnissen“ miteinander wieder. Diese bilden einen Rahmen, der langfristig die menschliche Entwicklung bestimmt und der gesprengt werden muss, wenn er dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte nicht mehr entspricht.
Das klingt hoch verwissenschaftlicht, ist es eigentlich auch und hat demzufolge selbst für gebildete „Marxisten“ gemeine Fallstricke. Die Gesetze der menschlichen Gesellschaft wirken zwar in gewisser Weise wie Naturgesetze. Allerdings kann - so wie bei den Fallgesetzen Newtons die Erde (und der Gravitations-Gegenkörper) vorhanden sein muss - ein „gesellschaftliches Gesetz“ nur beim Handeln von Menschen in der Gesellschaft existieren und funktionieren. Das aber ist wiederum nicht ohne ein bestimmtes Bewusstsein zu haben. Und verdammt nochmal: Das sind Beziehungen, die nicht der Schulmathematik entsprechen, weil das Handeln von Gruppen die Gesamtheit des Handelns der dazu gehörenden Menschen ist und jedes einzelne Bewusstsein durch mehr Faktoren beeinflusst wird, als für den konkreten Einzel-Sachverhalt relevant wären.
Sprich: Der Marxismus erfasst richtig den „Klassenkampf“ als Triebkraft der menschlichen Entwicklung. Aber obwohl es Interessen gibt, die große Menschengruppen aufgrund ihrer Stellung in der materiellen Produktion objektiv gemeinsam haben, die also „Klassen“ begründen, heißt dies noch lange nicht, dass sie sich dessen bewusst sind und entsprechend handeln wollen – und dann handeln sie auch nicht. So wie die Existenz von Gravitation dort belanglos ist, wo es nur einen Körper gibt. Was aber hat das mit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu tun?


Der Länge wegen teile ich den Entwurf für das Geschichtskapitel IM KOMoDo-Projekt auf. Der vollständige Text findet sich  h i e r.