Mittwoch, 14. Dezember 2011

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (3)

Kindheit (3) - Staatsbürgerkunde-Unterricht


Ab Klasse 7 wollte man unser Bewusstsein durch Staatsbürgerkunde- und Geschichtsunterricht „bilden“. Rückblickend muss ich allerdings sagen, dass die ethischen Normen, die nun Namen bekamen, längst geprägt waren, indem sie uns vorgelebt oder eben nicht vorgelebt wurden. „Gut“ oder „Böse“ ist greifbarer als als „Sozialismus“ und „Kapitalismus“.
Vielleicht hätte ich ein freundlicheres Verhältnis zur „Nationalen Volksarmee“ der DDR entwickelt, aber die Verhältnisse waren eben nicht so. Meine Sportbegeisterung war nie so groß, dass mich Körperertüchtigung gelockt hätte. Emotional ein egozentrischer Anarchist war mir jeglicher unterordnender Gehorsam zutiefst zuwider. (In einem krankhaften Anfall von Übermachtssadismus spielte ich einmal meinem engsten Freund gegenüber einen SS-Mann: Ich zwang den schwarz Gelockten durch brutale Gewalt dazu „Ich bin eine dumme Judensau!“ auszurufen, um frei zu kommen … und ich könnte nicht sagen, vor wem ich mich nachher mehr ekelte: vor ihm, der sich derart demütigen ließ, oder vor mir, dass ich zu so etwas fähig gewesen war …) Rund wurde meine Grundhaltung zum Thema Armee eigentlich erst dadurch, dass es in der Klasse bei den Auseinandersetzungen mit der Staatsbürgerkundelehrerin einen einzigen Schüler gab, der die Antworten suchte, von denen er annahm, dass die Lehrerin sie hören wollte. Dieser Speichellecker mit mäßigem geistigen Niveau strebte an, Offizier zu werden. Ich konnte ihn mir einfach zu gut in preußischen Stiefeln vorstellen. Das schon vorher ausgeprägte Bild, Körperkraft zeigten die, denen es an Geisteskraft mangelte, wurde untermauert – nur eben auf höherer Ebene.
Aber die Stabü-Lehrerin hatte auf ihre Weise bei mir dann doch etwas bewegt. Im Nachhinein tut sie mir eigentlich leid. Es war mir ein teuflisches Vergnügen, den ungeliebten „Rotlicht“-Unterricht zu sprengen. Hier konnte ich die ganze spitzfindige Raffinesse boshafter Sprachanalyse an die Front werfen. Ich hatte die meisten Schulbücher schon vor Beginn der Unterrichtsjahres überflogen. Im Staatsbürgerkunde-Lehrbuch fiel mir dabei etwas auf: Außer bunten Bildchen gab es Kästchen mit Zitaten der „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus, die ich sozusagen als die Verkündigung Moses ansah (so waren sie wohl auch gemeint), während der eigentliche Text das profane Bla-Bla war. Das Gute daran: Es ließen sich in dem profanen Zeug Widersprüche zu Gottes, Pardon: Marxens, Kernsätzen in den Kästchen entdecken. Also sprengte ich Stunden mit der Absicht zu beweisen, dass das, was wir als wunderbare Wirklichkeit unserer größten DDR aller Zeiten erklärt bekommen sollten, gar nicht das war, was der große Marx sich als sozialistische Gesellschaft vorgestellt hatte. Widerspruch als Denksport.
Die intelligenten Mitschüler verfolgten die Diskussionen mit Vergnügen und unterstützten mich nach bestem Wissen. Die weniger intelligenten freuten sich, dass die Stunden nicht als langweilige Lernstunden versandeten. Nur jener Möchtegern-Offizier mühte sich um Unterstützung der Lehrerin. Die war von uns Jungen begeistert. Weil wir so offen Interesse zeigten, ließ sie ihre Stundenvorbereitung in der Tasche und versuchte, unser Denken zu lenken. Argumente wurden nicht niedergeschlagen und „Erklärungen“ vermittelt, wie wir etwas sehen sollten, sondern sie versuchte, uns die Widersprüchlichkeit von Vorgängen begreiflich zu machen. Nicht einfache Antworten, sondern Bewegung und unter der Oberfläche des offen Sichtbaren gebe es erkennbare Zusammenhänge, um deren Aufdeckung man sich bemühen muss – das nenne man im Sinne von Marx zu handeln und das könne sogar Spaß machen.
Sie verführte mich damit zu einem Trugschluss: Voreiligerweise dachte ich, so sei politische Bildung. Im Geschichtsunterricht wurde ich eines Besseren belehrt. Der Geschichtslehrer frönte der großen Liebe zu seinen optisch faszinierenden Tafelbildern. Mit feiner Schrift verteilte er über die ausgeklappte Tafel (mitunter einschließlich Rückseite) Kästchen, zwischen denen er Pfeile fliegen ließ. Vorher – nachher, Ursache – (Anlass) – Wirkung … Extrem schematisch, obwohl nicht einmal undialektisch. Von der Ursache ein dicker Pfeil zur Wirkung und darunter dann der dünne Pfeil dafür, dass das, was eigentlich Folge war, auf die ursprüngliche Ursache zurückwirkte und dass es eben Haupt- und „Neben“-Gründe derselben Sache gebe.
In diesem Fach wurde erstmals laut das Wort „Kommunismus“ ausgesprochen. Über den Begriff wusste ich wenig. Eigentlich nur, dass das eine „klassenlose Gesellschaft“ wäre, in der es „keinen Staat“ gäbe. Mit Klassen konnte ich wenig anfangen, eigentlich nur mit Schulklassen, Staat aber, da gehörten also mindestens all die Gewaltinstrumente dazu. Die hat jeder, um sich selbst zu verteidigen. Ließe also eine Seite ihren „Staat“ verschwinden, wäre der Weg der anderen Seite frei, die eigene Macht zu erweitern. Also kann es einen „Kommunismus“ auf der Welt auf jeden Fall nicht geben, solange es zugleich das Anti-System Kapitalismus gäbe … Mit dieser Schlussfolgerung begann ich; zur logischen Herleitung kam ich nicht mehr. Mir wurde sofort das Wort entzogen und mich traf ein Schwall von Flüchen. Die übelste Bezeichnung, mit der ich versehen wurde - mit der ich aber nichts anzufangen wusste, außer dass es des Tonfalls wegen etwas Grauenvolles sein musste – war „Trotzkist“. Wahrscheinlich noch etwas Schlimmeres als Faschist und ich hatte gerade die schlimmstmögliche Feindpropaganda in den Raum geworfen.
Alles nur wegen einer primitiven logischen Ableitung, hinter der ich, wenn auch umfassender begründet, auch heute noch stehe. Wenn ich dem entsetzten Doggen-Lehrer noch an den Kopf geworfen hätte, dass also der entfaltete „Kommunismus“ keine Politik der friedlichen Koexistenz kennen könne – weil dies ja eine Beziehung zwischen Staaten sei, die es per Definition nicht mehr gäbe – wäre entweder er mit dem Notarzt oder ich durch Ledermantelmänner aus dem Klassenraum geführt worden. Natürlich habe ich mir bei diesem Lehrer weitere Schlussfolgerungen verkniffen.



Dies ist ein biografischer Text, den ich geschrieben hatte, um ihn eventuell in einem Buch zu meinen Vorstellungen zu veröffentlichen. An dieser Stelle präsentiere ich ihn unabhängig davon, ob er je Eingang in ein Buch finden wird. Der Länge wegen teile ich ihn auf. Der vollständige Text findet sich hier.

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