Wem gehört die Zukunft?
Pessimisten finden genug Argumente, um
mit „... eine Mischung von NSA und NSU“ zu antworten. Ihnen
stellt sich die Frage nach Kapitalismus oder nicht überhaupt nicht,
nur die, welcher es denn sein könnte. Vielleicht noch die, ob die
kommenden Kriege weit genug von Deutschland entfernt geführt werden
und ohne Atomwaffen.
Alle Vergleiche hinken. Doch an die
Zeit vor dem 1. Weltkrieg zu erinnern, vereinfacht das Verständnis
der Gegenwart. Bestimmte Dinge nähern sich wieder an:
Da sind alle die Erscheinungen, die
schließlich Lenin unter dem Begriff „Imperialismus“
zusammenfasste. Einziger großer Unterschied: Während vor 100 Jahren
die Kolonialherrschaft äußerlich in direkt kontrollierten
Kolonialreichen offen sichtbar war, ist die Unterdrückung fremder
Nationen heute subtiler, funktioniert sie hauptsächlich als
verwirklichte wirtschaftliche Unterordnung der abhängigen Länder.
Im erwünschten „Normalfall“ also als „freiwillige“
Selbstunterwerfung. In den letzten Jahren sind allerdings immer mehr
militärische Unterwerfungsunternehmungen dazugekommen.
Wichtig für Nutzer des dialektischen
und historischen Materialismus ist dabei, dass ein inneres
Grundgesetz des Imperialismus weiter wirkt, nämlich das der
unterschiedlich schnellen Entwicklung, auf dem letztlich die
besondere Aggressivität des Systems beruht. Führt schon der innere
Zwang zum Erwirtschaften von Profit dazu, dass der Kapitalismus als
Ganzes ein beständiger Nährboden für unterschiedlich intensive
Kriege ist, so wird dies natürlich verstärkt, je mehr die
Möglichkeit nach Ausdehnung in noch unerschlossene
Profitquellenbereiche abgelöst wird durch die Realität, dass
überall andere „schon da sind“. Dieses Problem ist heute sogar
noch schmerzhafter als vor 100 Jahren. Die aktiven Kapitalgruppen
stehen nicht nur vor dem Problem, dass die Rohstoffe zur Erweiterung
ihrer Wirtschaftsmacht nicht schnell genug ausreichend verfügbar
sind, sondern sie müssen immer häufiger mit der Möglichkeit
rechnen, dass die absolut verfügbare Menge dieser Rohstoffe
überhaupt schrumpfen könnte.
Der Tod der Sowjetunion ließ eine
monopolare Welt zurück. Die Vereinigten Staaten von Amerika blieben
als unangefochtene Weltführungsmacht in jeder Beziehung zurück. Der
unterschiedlich große Vorsprung auf allen Bereichen wurde durch das
astronomische Übergewicht auf militärischem Gebiet – immerhin
Militärausgaben, die die nominalen der gesamten restlichen Welt
überstiegen – gestützt. Langfristig wirken aber auch im
Kapitalismus ungewöhnlich hohe Rüstungskosten entwicklungshemmend,
wenn sie sich nicht mit der Erweiterung der eigenen Einflusszonen
kompensieren lassen.
An die eine Weltführungsmacht dockten
einige Sekundärführungsmächte an. Am erschreckendsten dabei zeigte
sich Deutschland, wo durch das Schwinden der früheren besonders nah
greifbaren Systemalternative, also der Notwendigkeit, prinzipiell die
Ausbeutungsverhältnisse zu erhalten anstatt sie ungehemmt zu
verschärfen, der Drang zur Ausbeutungsverschärfung besonders
unmittelbar Bahn brach. Nun rächte sich, dass die Massen über kaum
kampferprobte Organisation zur Durchsetzung eigener Interessen
verfügten, weil das Kapital zuvor eher zu Almosenkompromissen bereit
gewesen war als in grenzferneren kapitalistischen Staaten. Ohne
massiven Widerstand konnte die Ausbeutungsintensität in Deutschland
wesentlich erhöht werden. Nenne man die Staatengruppe, die im
Windschatten der Supermacht wirtschaftliche Leckerlis von deren
Cheftisch abzugreifen versucht, „Vasallenstaaten“.
Es ist nicht nur China, das zum einen
mit eigenen Emanzipationsbestrebungen, zum anderen aber mit
bedrohlichen Wachstumsraten die
Nach-Ostblock-Wirtschafts-Monopolordnung in Frage stellt, das zum
Feind wird.. Auch das technologisch zurückgefallene Russland ist
dank des Bestrebens, sein Rohstoffreservoir zum eigenen Nutzen zu
gebrauchen, aber auch seiner erhaltenen militärischen Potenzen wegen
als Bedrohung dieser Ordnung anzusehen.
Die aufstrebenden Mächte benehmen sich
– unabhängig von ihrer erklärten gesellschaftspolitischen
Zielstellung – in kapitalistischer Logik. Das heißt, mit ihrem
sich ausdehnenden inneren Potential versuchen sie auch eine
weltpolitische Ausdehnung. In erster Linie erfolgt dies gerade
seitens des bedeutendsten, des chinesischen, Kapitals still und wenig
aufdringlich. Teilweise auf die Stärkung der neuen Partner
orientiert. Allerdings ist der Grad solidarischen Verhaltens aus
amerikanischer Sicht unerheblich. Für die Subjekte der monopolaren
Welt zählt nur, dass Regionen, die sie als Quasikolonien
betrachteten, Einflussgebiete, Rohstoffreserven usw. sich eben z. B.
China zuwenden.
Gerade in Afrika liegen mehrere
Stellvertreterkriege hinter uns, durch die der ökonomisch wachsende
Einfluss Chinas militärisch niedergeworfen wurde. Ein weiteres
Voranschreiten Chinas zur Weltmacht NEBEN bis vor den USA kann dies
letztlich aber nur verzögern. Die meisten seriösen Prognosen gehen
mittelfristig von einer Verschiebung der Anteile an der
Weltwirtschaftskraft zu Ungunsten der USA und zugunsten Chinas sowie
anderer sich emanzipierender Nicht-Vasallenstaaten aus.
Bisher hat noch kein „Imperium“
einem derart absehbaren Niedergang tatenlos zugesehen.
Nun war die Logik des 1. Weltkriegs
einfacher: Deutschland war die dynamischere imperialistische Nation,
die praktisch auf die älteren Kolonialmächte stieß, die „schon
da waren“. Also besonderes Interesse an der Änderung der
Verhältnisse. Also Krieg.
Diesmal muss man erst einmal die
Bedeutung neokolonialer ökonomischer Einflussgebiete
berücksichtigen. Bisher ohne Krieg wächst dort weltweit der
chinesische Einfluss. Noch stehen aber den USA samt Vasallen ihre
überlegene Militärmacht zur Verfügung. Mit der weiteren
Verschiebung der allgemeinen Wirtschaftsmacht wird sich aber auch das
militärische Kräfteverhältnis verschieben. Bei niedrigem
Ausgangsniveau sind die Steigerungsraten der chinesischen
Militärausgaben heute schon enorm. Nach imperialistischer Logik muss
China bald bereit sein, seine Wirtschaftshilfe für einen dann
aktuellen „Sudan“ weltweit militärisch zu schützen – von sich
selbst ganz abzusehen. Ideologiefrei betrachtet erhöhen ähnlich
starke Blöcke den Spielraum von Kleinen zwischen ihnen, was per
Saldo letztlich wieder genauso zulasten der alten Kolonialallianz
ginge.
Sofern es also nicht gelingt, die
Entfaltung einer Weltmacht China nachhaltig zu verhindern, erscheint
es als auf imperialistischem Denkhorizont als logisch vernünftig,
lieber früher als später militärisch zuzuschlagen, da jedes Jahr
des Zögerns das Kräfteverhältnis verschlechtert, demzufolge die
eigenen Siegchancen.
Womit wir wieder bei Ähnlichkeiten zur
Situation vor dem 1. Weltkrieg sind. Denn natürlich versucht man vor
dem großen Rumms, dem großen Gegner möglichst viele kleine Partner
zu nehmen. Und es ist ja nicht nur der „Bürgerkrieg“ im
jeweiligen afrikanischen /arabischen Land, in dessen Ergebnis die
chinesischen Investitionen in den Sand gesetzt sind, es ist eben auch
die potentielle Drohung für jeden noch-nicht-Geschäftspartner, dass
er platt gemacht wird, lässt er sich mit den Chinesen ein –
wodurch chinesisches Kapital zu Risikokapital wird. Aus geografischen
Gegebenheiten heraus sind demzufolge China und Russland „natürliche
Verbündete“. Trotz vieler historischer Animositäten könnten sie
die amerikanischen Umkreisungsaktivitäten zusammendrücken. (Man
bedenke, dass Kaiser Wilhelm ursprünglich auch andere
Bündniskonstellationen vorgezogen hätte.)
Der wesentliche Unterschied mit der
Vorphase des 1. Weltkriegs ist allerdings, dass die Beteiligten heute
wechselseitig voneinander wissen, dass sie über die „Wunderwaffen“
verfügen, die in den beiden Weltkriegen noch herbei halluzinierte
Propaganda waren. Egal, zu wessen Seite sich das Kriegsblatt wenden
sollte, mit dem tatsächlichen Einsatz von Massenvernichtungswaffen
muss jede Seite rechnen. Für die USA bedeutet dies besonders, dass
eine Gemeinsamkeit aller ihrer Kriege nach dem Völkermord an den
Indianervölkern nicht mehr zuträfe: Ein offener neuer Weltkrieg
verschonte das eigene Land nicht mehr.
Inzwischen haben wir uns in Deutschland
daran gewöhnt, dass sich in irgendeiner fernen Türkei irgendwelche
Andersgläubige oder so gegenseitig die Köpfe einschlagen. „Wir“
sind natürlich dagegen, haben „nur“ die Verantwortung, dass es
nicht noch schlimmer wird. Die Möglichkeit, dass aus einem der
vielen „Stellvertreterkriege“ einer werden könnte, bei dem wir
mittendrin und nachher nicht mehr sein könnten, zieht wohl kaum ein
Deutscher ernsthaft in Betracht. Dabei ist schon der Wind, der
radioaktive Fallout-Wolken nach Wetterlaune vor sich her treiben
könnte, absolut unpolitisch. Der könnte in seiner Ignoranz durchaus
Paris mit Wuppertal verwechseln.
Leider gibt es noch mehrere
Unterschiede zu unseren Ungunsten zur Zeit vor über 100 Jahren.
Damals rang die aufstrebende deutsche
Sozialdemokratie noch um die Frage, ob sie nicht vielleicht sogar
konsequent radikal revolutionär sein sollte. Da war in diesen
Kreisen der einfache Gedanke noch gängig, dass man am einfachsten
denen, die am Krieg verdienen, den Besitz wegnähme und schon fiele
der drohende Krieg aus. Allerdings verschoben sich die
Kräfteverhältnisse innerhalb dieser Partei fast unmerklich, aber
doch schnell zugunsten von Kleingarten- und Bausparsozialisten. Da
waren plötzlich die französischen Kapitalisten viel schlimmer,
deren Worte verstand man nämlich nicht … egal ob sie mit
französischen oder mit Kruppkanonen schießen sollten.
Womit sich dann doch wieder alles
ähnelt: bei einem zugleich zahlenmäßig großen, gut organisiertem
und auch noch Zusammenhänge verstehenden Widerstand sah es traurig
mau aus … und man machte sich so viel vor, wie gut man doch sei.
Diejenigen, die zu dem Schluss kamen,
dass man erst einmal wissen müsste, wohin man letztlich wollte, und
wenn man das wüsste, darüber nachdenkt, wie man dorthin kommt,
fanden sich erst dann zusammen, als eigentlich der Zug schon
abgefahren und alle kommunistischen Messen mit Noske-Schuss-Glocken
verklungen waren. Die deutsche Arbeiterklasse hatte ihren Anteil an
der Gestaltung der Weltzukunft mit bestem Ungeschick vermasselt …
und überzeugende Anzeichen, dass sich Fortschrittskräfte in unserem
Land als lernfähig aus der Geschichte erweisen könnten, kann man
auch heute mit der Lupe suchen.
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