Samstag, 31. August 2013

Zur Frage von Offensive und Hegemonie (1 - der internationale Rahmen)

Wem gehört die Zukunft?
Pessimisten finden genug Argumente, um mit „... eine Mischung von NSA und NSU“ zu antworten. Ihnen stellt sich die Frage nach Kapitalismus oder nicht überhaupt nicht, nur die, welcher es denn sein könnte. Vielleicht noch die, ob die kommenden Kriege weit genug von Deutschland entfernt geführt werden und ohne Atomwaffen.
Alle Vergleiche hinken. Doch an die Zeit vor dem 1. Weltkrieg zu erinnern, vereinfacht das Verständnis der Gegenwart. Bestimmte Dinge nähern sich wieder an:
Da sind alle die Erscheinungen, die schließlich Lenin unter dem Begriff „Imperialismus“ zusammenfasste. Einziger großer Unterschied: Während vor 100 Jahren die Kolonialherrschaft äußerlich in direkt kontrollierten Kolonialreichen offen sichtbar war, ist die Unterdrückung fremder Nationen heute subtiler, funktioniert sie hauptsächlich als verwirklichte wirtschaftliche Unterordnung der abhängigen Länder. Im erwünschten „Normalfall“ also als „freiwillige“ Selbstunterwerfung. In den letzten Jahren sind allerdings immer mehr militärische Unterwerfungsunternehmungen dazugekommen.
Wichtig für Nutzer des dialektischen und historischen Materialismus ist dabei, dass ein inneres Grundgesetz des Imperialismus weiter wirkt, nämlich das der unterschiedlich schnellen Entwicklung, auf dem letztlich die besondere Aggressivität des Systems beruht. Führt schon der innere Zwang zum Erwirtschaften von Profit dazu, dass der Kapitalismus als Ganzes ein beständiger Nährboden für unterschiedlich intensive Kriege ist, so wird dies natürlich verstärkt, je mehr die Möglichkeit nach Ausdehnung in noch unerschlossene Profitquellenbereiche abgelöst wird durch die Realität, dass überall andere „schon da sind“. Dieses Problem ist heute sogar noch schmerzhafter als vor 100 Jahren. Die aktiven Kapitalgruppen stehen nicht nur vor dem Problem, dass die Rohstoffe zur Erweiterung ihrer Wirtschaftsmacht nicht schnell genug ausreichend verfügbar sind, sondern sie müssen immer häufiger mit der Möglichkeit rechnen, dass die absolut verfügbare Menge dieser Rohstoffe überhaupt schrumpfen könnte.
Der Tod der Sowjetunion ließ eine monopolare Welt zurück. Die Vereinigten Staaten von Amerika blieben als unangefochtene Weltführungsmacht in jeder Beziehung zurück. Der unterschiedlich große Vorsprung auf allen Bereichen wurde durch das astronomische Übergewicht auf militärischem Gebiet – immerhin Militärausgaben, die die nominalen der gesamten restlichen Welt überstiegen – gestützt. Langfristig wirken aber auch im Kapitalismus ungewöhnlich hohe Rüstungskosten entwicklungshemmend, wenn sie sich nicht mit der Erweiterung der eigenen Einflusszonen kompensieren lassen.
An die eine Weltführungsmacht dockten einige Sekundärführungsmächte an. Am erschreckendsten dabei zeigte sich Deutschland, wo durch das Schwinden der früheren besonders nah greifbaren Systemalternative, also der Notwendigkeit, prinzipiell die Ausbeutungsverhältnisse zu erhalten anstatt sie ungehemmt zu verschärfen, der Drang zur Ausbeutungsverschärfung besonders unmittelbar Bahn brach. Nun rächte sich, dass die Massen über kaum kampferprobte Organisation zur Durchsetzung eigener Interessen verfügten, weil das Kapital zuvor eher zu Almosenkompromissen bereit gewesen war als in grenzferneren kapitalistischen Staaten. Ohne massiven Widerstand konnte die Ausbeutungsintensität in Deutschland wesentlich erhöht werden. Nenne man die Staatengruppe, die im Windschatten der Supermacht wirtschaftliche Leckerlis von deren Cheftisch abzugreifen versucht, „Vasallenstaaten“.

Es ist nicht nur China, das zum einen mit eigenen Emanzipationsbestrebungen, zum anderen aber mit bedrohlichen Wachstumsraten die Nach-Ostblock-Wirtschafts-Monopolordnung in Frage stellt, das zum Feind wird.. Auch das technologisch zurückgefallene Russland ist dank des Bestrebens, sein Rohstoffreservoir zum eigenen Nutzen zu gebrauchen, aber auch seiner erhaltenen militärischen Potenzen wegen als Bedrohung dieser Ordnung anzusehen.
Die aufstrebenden Mächte benehmen sich – unabhängig von ihrer erklärten gesellschaftspolitischen Zielstellung – in kapitalistischer Logik. Das heißt, mit ihrem sich ausdehnenden inneren Potential versuchen sie auch eine weltpolitische Ausdehnung. In erster Linie erfolgt dies gerade seitens des bedeutendsten, des chinesischen, Kapitals still und wenig aufdringlich. Teilweise auf die Stärkung der neuen Partner orientiert. Allerdings ist der Grad solidarischen Verhaltens aus amerikanischer Sicht unerheblich. Für die Subjekte der monopolaren Welt zählt nur, dass Regionen, die sie als Quasikolonien betrachteten, Einflussgebiete, Rohstoffreserven usw. sich eben z. B. China zuwenden.
Gerade in Afrika liegen mehrere Stellvertreterkriege hinter uns, durch die der ökonomisch wachsende Einfluss Chinas militärisch niedergeworfen wurde. Ein weiteres Voranschreiten Chinas zur Weltmacht NEBEN bis vor den USA kann dies letztlich aber nur verzögern. Die meisten seriösen Prognosen gehen mittelfristig von einer Verschiebung der Anteile an der Weltwirtschaftskraft zu Ungunsten der USA und zugunsten Chinas sowie anderer sich emanzipierender Nicht-Vasallenstaaten aus.
Bisher hat noch kein „Imperium“ einem derart absehbaren Niedergang tatenlos zugesehen.
Nun war die Logik des 1. Weltkriegs einfacher: Deutschland war die dynamischere imperialistische Nation, die praktisch auf die älteren Kolonialmächte stieß, die „schon da waren“. Also besonderes Interesse an der Änderung der Verhältnisse. Also Krieg.
Diesmal muss man erst einmal die Bedeutung neokolonialer ökonomischer Einflussgebiete berücksichtigen. Bisher ohne Krieg wächst dort weltweit der chinesische Einfluss. Noch stehen aber den USA samt Vasallen ihre überlegene Militärmacht zur Verfügung. Mit der weiteren Verschiebung der allgemeinen Wirtschaftsmacht wird sich aber auch das militärische Kräfteverhältnis verschieben. Bei niedrigem Ausgangsniveau sind die Steigerungsraten der chinesischen Militärausgaben heute schon enorm. Nach imperialistischer Logik muss China bald bereit sein, seine Wirtschaftshilfe für einen dann aktuellen „Sudan“ weltweit militärisch zu schützen – von sich selbst ganz abzusehen. Ideologiefrei betrachtet erhöhen ähnlich starke Blöcke den Spielraum von Kleinen zwischen ihnen, was per Saldo letztlich wieder genauso zulasten der alten Kolonialallianz ginge.
Sofern es also nicht gelingt, die Entfaltung einer Weltmacht China nachhaltig zu verhindern, erscheint es als auf imperialistischem Denkhorizont als logisch vernünftig, lieber früher als später militärisch zuzuschlagen, da jedes Jahr des Zögerns das Kräfteverhältnis verschlechtert, demzufolge die eigenen Siegchancen.
Womit wir wieder bei Ähnlichkeiten zur Situation vor dem 1. Weltkrieg sind. Denn natürlich versucht man vor dem großen Rumms, dem großen Gegner möglichst viele kleine Partner zu nehmen. Und es ist ja nicht nur der „Bürgerkrieg“ im jeweiligen afrikanischen /arabischen Land, in dessen Ergebnis die chinesischen Investitionen in den Sand gesetzt sind, es ist eben auch die potentielle Drohung für jeden noch-nicht-Geschäftspartner, dass er platt gemacht wird, lässt er sich mit den Chinesen ein – wodurch chinesisches Kapital zu Risikokapital wird. Aus geografischen Gegebenheiten heraus sind demzufolge China und Russland „natürliche Verbündete“. Trotz vieler historischer Animositäten könnten sie die amerikanischen Umkreisungsaktivitäten zusammendrücken. (Man bedenke, dass Kaiser Wilhelm ursprünglich auch andere Bündniskonstellationen vorgezogen hätte.)
Der wesentliche Unterschied mit der Vorphase des 1. Weltkriegs ist allerdings, dass die Beteiligten heute wechselseitig voneinander wissen, dass sie über die „Wunderwaffen“ verfügen, die in den beiden Weltkriegen noch herbei halluzinierte Propaganda waren. Egal, zu wessen Seite sich das Kriegsblatt wenden sollte, mit dem tatsächlichen Einsatz von Massenvernichtungswaffen muss jede Seite rechnen. Für die USA bedeutet dies besonders, dass eine Gemeinsamkeit aller ihrer Kriege nach dem Völkermord an den Indianervölkern nicht mehr zuträfe: Ein offener neuer Weltkrieg verschonte das eigene Land nicht mehr.
Inzwischen haben wir uns in Deutschland daran gewöhnt, dass sich in irgendeiner fernen Türkei irgendwelche Andersgläubige oder so gegenseitig die Köpfe einschlagen. „Wir“ sind natürlich dagegen, haben „nur“ die Verantwortung, dass es nicht noch schlimmer wird. Die Möglichkeit, dass aus einem der vielen „Stellvertreterkriege“ einer werden könnte, bei dem wir mittendrin und nachher nicht mehr sein könnten, zieht wohl kaum ein Deutscher ernsthaft in Betracht. Dabei ist schon der Wind, der radioaktive Fallout-Wolken nach Wetterlaune vor sich her treiben könnte, absolut unpolitisch. Der könnte in seiner Ignoranz durchaus Paris mit Wuppertal verwechseln.
Leider gibt es noch mehrere Unterschiede zu unseren Ungunsten zur Zeit vor über 100 Jahren.
Damals rang die aufstrebende deutsche Sozialdemokratie noch um die Frage, ob sie nicht vielleicht sogar konsequent radikal revolutionär sein sollte. Da war in diesen Kreisen der einfache Gedanke noch gängig, dass man am einfachsten denen, die am Krieg verdienen, den Besitz wegnähme und schon fiele der drohende Krieg aus. Allerdings verschoben sich die Kräfteverhältnisse innerhalb dieser Partei fast unmerklich, aber doch schnell zugunsten von Kleingarten- und Bausparsozialisten. Da waren plötzlich die französischen Kapitalisten viel schlimmer, deren Worte verstand man nämlich nicht … egal ob sie mit französischen oder mit Kruppkanonen schießen sollten.
Womit sich dann doch wieder alles ähnelt: bei einem zugleich zahlenmäßig großen, gut organisiertem und auch noch Zusammenhänge verstehenden Widerstand sah es traurig mau aus … und man machte sich so viel vor, wie gut man doch sei.

Diejenigen, die zu dem Schluss kamen, dass man erst einmal wissen müsste, wohin man letztlich wollte, und wenn man das wüsste, darüber nachdenkt, wie man dorthin kommt, fanden sich erst dann zusammen, als eigentlich der Zug schon abgefahren und alle kommunistischen Messen mit Noske-Schuss-Glocken verklungen waren. Die deutsche Arbeiterklasse hatte ihren Anteil an der Gestaltung der Weltzukunft mit bestem Ungeschick vermasselt … und überzeugende Anzeichen, dass sich Fortschrittskräfte in unserem Land als lernfähig aus der Geschichte erweisen könnten, kann man auch heute mit der Lupe suchen.

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