Montag, 2. September 2013

"Briefe" zu "Gemeinschaft der Glückssüchtigen" ...

Wozu schreibt man Texte gegen die Welt, wie sie heute ist?
Am entschiedensten, weil man überzeugt ist, dass die nicht nur schlecht gestaltet ist, sondern auch, weil man sicher ist, dass sie nicht so sein müsste. Es gäbe Alternativen. Diese Alternativen sind nicht irgendwelche utopischen Kopfgeburten, sondern für deren Funktionieren haben sich heutzutage längst die notwendigen materiellen Wurzeln herausgebildet. Wirtschaftlich, vor allem aber technisch ist alles da, was nötig wäre, um sich vom Zwang zu auf Geld („Kapital“) fixiertem Arbeiten zu befreien. All jene alternativlos erscheinenden logischen Ketten verbliener Marktwirtschaftnerds könnten durch neue ersetzt werden. Die, die das tun müssten, aber lecken immer noch die Wunden eines furchtbaren geschichtlichen Untergangs eines technisch verfrühten Versuchs.
„Wir“ - und das meint viele, die sich eigentlich linkem Ideengut nahe fühlen - lassen uns noch immer von der gegnerischen Logik blenden, dass ja der „Sozialismus“ untergegangen sei. In seine Richtung zu blicken, sei deshalb müßig.
Es ist ja so mühsam, sich selbst einzugestehen, dass die Vielen, die seinerzeit „den“ Sozialismus aufbauen wollten, etwas damals noch Unmögliches begonnen hatten. Dass erst einige notwendige Grundlagen geschaffen werden konnten, die für sich allein genommen in der Konfrontation mit einem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem die tatsächlichen Vorzüge einer alternativen Wirtschaftsform nicht, nur in Ansätzen oder teilweise sogar nur in pervertierter Verballhornung entfalten konnten.
Heute wären die technischen Mittel sofort greifbar, sie werden nun aber – wenn sie überhaupt bemerkt werden – vom wieder durchgesetzten Machtapparat des Gestrigen pervertiert.
Es ist also aktive Auseinandersetzung mit dem nötig, was heute ginge – und zwar wie und warum. Kommunismus ist ja nur eine historische Bezeichnung, ein Wort, das mit realem Leben zu erfüllen ist.. Von alten Vorstellungen, wie diese Form des Zusammenlebens funktionieren kann, werden wir uns teilweise radikal trennen müssen. Individuelle Freiheit wird einen wesentlich konkreteren Hauptanteil an unserem Kommunismusbild ausmachen müssen. Mitgestaltung aller Lebensbereiche durch jeden, der sich für seine Angelegenheiten interessiert, wird greifbarer vorstellbar anstelle sie nur abstrakt zu proklamieren.
Die aktuelle Diskussionen in solche optimistischen Richtungen zu lenken, sie mit Gedanken anzureichern, verkrustete Denkstrukturen zu durchbrechen, das ist erklärtes Ziel des Buchs „Gemeinschaft der Glückssüchtigen“ von Slov ant Gali. Vorsätzlich wird dabei auf die Trockenheit eines gesellschaftswissenschaftlichen Sachbuchs verzichtet und dafür die besondere persönliche Möglichkeit des Autors eingebracht: utopische Belletristik und Lyrik zu schreiben und neben den Einmarsch-Erfahrungen der kapitalistischen Ordnungsmacht auch Erfahrungen aus dem gewöhnlichen Leben im realen DDR-Alltag verschiedenster Arbeits- und Lebensbereiche gesammelt zu haben.
Im Buch wird klar, dass das Leben im Kommunismus extrem bunt sein muss, Erfahrungen aus einem Bereich nur bedingt auf einen anderen Bereich übertragbar sind. Trotzdem bietet der Autor einen etwas vereinfachenden Musterfall an: Die Befriedigung des Bedürfnisses nach Musik-Hörgenuss. Hier liegt heute besonders auf der Hand, dass die reale Praxis unserer Verhältnisse – nämlich die Befriedigung unserer Bedürfnisse über die Warenform - hinterwäldlerisch und uns allen zum Schaden gereichend gestaltet ist.
Das Buch berücksichtigt, dass bestimmte Denkweisen, konkret die dialektische, recht erfolgreich aberzogen worden sind. Sie aber sind für das Verständnis erforderlich. So, wie alles, was ist, das Entwicklungsergebnis der Geschichte ist, so kann man das, was werden kann, aus dem Wissen herleiten, was ist und unter welchen Bedingungen es sich entwickelt hat. Allerdings wird Vernunft angemahnt an Stelle eines oberflächlichen „gesunden Menschenverstandes“, damit wir nicht ungewollt einen „Kachelofen“ betreiben, aus dem tötliches Kohlenmonoxid strömt.
Eine andere Welt ist machbar – welche das sein kann, dafür findet man in der „Gemeinschaft der Glückssüchtigen“ viele Anregungen.
Ach ja … Eine besondere Danksagung an den Bundespredig … pardon: ...präsidenten Gauck. Seine Anregung, sich Gedanken über das elementare Streben aller Menschen nach Leben in Glück und Zufriedenheit zu machen, wurde gern aufgenommen ...


Wann ist eine Gesellschaftsordnung reif, durch eine höhere ersetzt zu werden?
Die materialistische Geschichtsauffassung sucht die Antwort in der materiellen Grundlage der Gesellschaft, also im Entwicklungsstand der Produktivkräfte. Wenn die vorhandenen Produktionsverhältnisse zu Fesseln der Produktivkräfte geworden sind anstatt sie zu zu entwickeln, müssen neue her. Im Grundsatz klar, doch stellt sich die Frage, wann dieser Augenblick erreicht ist. Ganz von der Hand zu weisen wäre die Marxsche Überlegung ja nicht, dass Überproduktionskrisen ein solches Fesselverhältnis darstellten: Wenn eine Gesellschaft es zulässt, dass Waren hergestellt werden, bei denen im Nachhinein festgestellt wird, dass sie vernichtet werden „müssen“, weil sie keinen „Wert“ haben, also gar keine Waren sind, dann hat das System zweifelsfrei einen grundlegenden Defekt.
Trotzdem reichte dieser Defekt erwiesenermaßen nicht aus. Inzwischen existiert die kapitalistische Produktionsweise über 150 Jahre, ohne an ihren Krisen zugrunde gegangen zu sein. Wir ahnen den Hauptgrund: Es müssen innerhalb der Produktivkräfte auch neue „Konstruktivkräfte“ entwickelt sein, die einen solchen Grunddefekt nicht nur relativ kompensieren, sondern ein grundsätzlich besseres Wirtschaften ermöglichen. Das Buch „Gemeinschaft der Glückssüchtigen“ von Slov ant Gali versucht auf allgemein verständliche Weise herzuleiten, warum sich die erst nach dem Untergang des frühsozialistischen Wirtschaftsraums herausbildeten, ergo den damaligen Ansätzen zur Gestaltung eines Sozialismus nicht zur Verfügung standen, heute aber existieren und in krassem Widerspruch zum destruktiven Gesellschaftsüberbau stehen.
Ausgangspunkt der Überlegungen sind Bedürfnisse, die befriedigt werden sollen, und die Art der Tätigkeit, die dazu erforderlich ist. Dabei wird davon ausgegangen, dass urgesellschaftlich eine relative Identität vorlag: Wer immer etwas im weitesten Sinne „herstellte“, wusste um den Nutzen des „Produktes“ im Allgemeinen – eingeschlossen einen für sich selbst.
Die folgenden Klassengesellschaft bedurften einer wachsenden abstrakten Verselbständigung solchen Nutzens. Geld als potentiell beliebige Bedürfnisbefriedigung, Kapital als durch den Produktionsprozess im weitesten Sinn vermittelte Vermehrung seiner selbst.
Erst schleichend, im Kapitalismus schließlich extrem beschleunigt, entstand dabei vergegenständlichte Arbeit, deren Anteil an der eigentlich letztlich anzustrebenden unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung entsprechend stieg. Inzwischen ist dieser Anteil weltwirtschaftlich bereits der überwiegende.
In „Gemeinschaft der Glückssüchtigen“ wird der absolute, der „ideale“ kommunistische Hochpunkt der Relationen als Extrembeispiel herangezogen, der Fall nämlich, dass vor der endgültigen Bedürfnisbefriedigung keine fremde Arbeit mehr steht:
Als Ziel angenommen wird immer, dass jemand Musik hören will, der Hörgenuss das befriedigte Bedürfnis bedeutet. In der Urphase ging dies nur durch die unmittelbare „Produktion“ der Musiker, die also auch direkt ihre „glücklichen“ Hörer erlebten.
In der marktvermittelten Phase wird das Produkt „Musik“ vergegenständlicht. Ob als Schallplatte, Diskette oder einen anderen „Tonträger“ ist belanglos. Entscheidend war, dass dieser materielle Träger erarbeitet und bis zum potentiellen Hörer „vermarktet“ werden musste. Ohne eine zu handelnde Sache letztendlich keine Bedürfnisbefriedigung. (Die Vermittlung über Radio u.ä. sei hier außer Acht gelassen. Der Einfluss des konkreten Hörers auf das erwünschte Musikstück hält sich auch in engen Grenzen. Der Besuch eines Konzertes wiederum befriedigt mehrere Bedürfnisse nebeneinander.).
Heute ist technisch das kommunistische Niveau erreicht: Durch die inzwischen beherrschbaren gigantischen Datenspeichermengen und das Internet, dass prinzipiell jedem Nutzer seinen individuellen Zugangsumfang erlaubt, bedarf es keiner „Ware“ mehr, die sinnvoll gehandelt werden muss. Der Nutzer führt die wenigen Tätigkeiten selbst aus, die ihm sein Bedürfnis erfüllen. Er führt die erforderlichen Downloads durch. Downloadsperren, Kopierschutzmechanismen u. ä. Mittel, die aus der heruntergeladenen Musikstück bzw. dem nutzbaren Programm wieder eine Warenform generieren, haben mit dem eigentlichen Bedürfnis nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Sie stehen der technisch möglichen unbeschränkten Nutzung entgegen.
In jedem Fall von geistigem Eigentum, einem geistigen Anteil an einer Produktion, einem „Programm“, einer „Lizenz“ usw. verhält es sich ähnlich. Einmal auf der Welt existent, „hochgeladen“, veröffentlicht usw. könnten diese Arbeitsergebnisse weltweit uneingeschränkt mittels Digitalisierung und Internet so oft von den Nutzern „heruntergeladen“ werden wie gewünscht. (Nach heutigem Wissen wird man im Unterschied dazu auch im Kommunismus jeden konkreten Apfel nur einmal essen können, muss also jeden neu erzeugen und mit dem Apfelesser zusammenbringen. Besonderheiten kommunistischen Wirtschaftens in einem solchen Fall werden in „Gemeinschaft der Glückssüchtigen“ aber auch zur Diskussion gestellt.) Der Apparat an unterschiedlichen Mitteln, die freie Nutzung vorhandenen „Weltwissens“ zu verhindern, hat inzwischen astronomische Ausmaße erreicht und dürfte in seinem Schaden für die Weltentwicklung bereits die Schäden offener Kriegshandlungen überholt haben. Diese Destruktivkraft antikommunistischen Wirtschaftens wird aber in der Linken nur in Nischenbereichen skandalisiert (Lizenzen auf Tiere, Lebensmittel. Generika-Probleme u.ä.).
Die Verantwortung der Linken liegt im allseitigen Nachweis der Überholtheit all dessen, was wir heute „Kapitalismus“ nennen und der Anregung von Diskussionen, wie ein grundsätzlich anderes Wirtschaften „danach“ funktionieren kann. „Gemeinschaft der Glückssüchtigen“ liefert dazu Denkanstöße“.


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