Dienstag, 12. April 2011

Mein ganz individueller Kommunismus (3)

Mit dem Verschwinden des Standardopfers, an dem sich alle ihren Schulfrust abreagiert hatten, begann die Suche nach neuen Opfern. Wir waren eine Klasse mit Jungenüberschuss und nun ging es um die Jagd auf körperlich Schwächere. Damit geriet auch ich wieder ins Visier der Jagd. Allerdings hatte sich die Situation innerhalb der Klasse verändert. Es waren nicht nur gelegentlich ein paar Kinder in meiner Nähe, um meine Blödeleien zu hören, sondern ich hatte einen Kreis von kindlichen Partnerschaften: Einen Freund, der an mir hing wie Watson an Holmes, und noch ein paar Andere, durch die ich mich als Bandenchef fühlen konnte. Ausnahmslos waren es aber alles körperlich nicht überlegene Jungen. Die gegenseitige Hilfe bestand u.a. darin, dass ich denen bei den Hausaufgaben half und ich dafür meine Produkte für den Zeichenunterricht vorbereitet bekam, sodass eine Vier in Zeichnen nun nicht mehr sicher war (Es war manchmal sogar eine Zwei dazwischen). Meine logische Lektion: Die konnten etwas, was ich nicht konnte, und umgekehrt. Wenn dies auch offiziell nicht erwünscht war, eigentlich sogar als Betrug bewertet wurde, so stand doch fest, dass die Nutzung der Stärken der Einzelnen wechselseitig Vorteile brachte. Es machte mir dabei wenig aus, dass ich mehr einbrachte als ich herausholen konnte.
Das Problem der Prügel, des Mobbings der Schwachen war damit aber noch nicht gelöst. Es fanden nämlich immer ausreichend körperlich Überlegene zusammen, um ausreichend Schwächere zu quälen. In die Gruppe der „Schwächeren“ gehörte letztlich sogar ein Junge von hohem Körpergewicht, dem es aber an Schnelligkeit und Beweglichkeit mangelte. Was mich am meisten deprimierte: Die da prügelten waren „leistungsschwache“ Schüler, die sich auf solche Weise ihr „Siegerlebnis“ aus der schule holten, die Betroffenen jedoch versuchten – letztlich meist erfolglos – sich der körperlichen Auseinandersetzung zu entziehen im Bewusstsein der bevorstehenden Niederlage. Eigentlich ging dies so bis Klasse 7. Und dann passierte etwas, was ich im Nachhinein vielleicht überbewertet und fehlinterpretiere. Aber es ist eben passiert: In einer großen Hofpause war es mir gelungen, alle die, die eigentlich auf „meine“ Seite gehörten zu sammeln. Es kam zur Schlacht, bei der die (sonst eigentlich auch immer vorhandene) zahlenmäßige Überlegenheit auch uneingeschränkt zum Tragen kam und wir diese Hofpause als Sieger beendeten. Womit ich nicht gerechnet hatte, trat ein: Von „Kappeleien“ (wie das meine Mutter genannt hätte) abgesehen, die ja wohl überall vorkommen, trat ein dauerhafter Friede ein. Nicht, dass wir nun alle Freunde geworden wären, aber das große Problem, dieses permanente Massenmobbing war zu Ende.
Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass wir insgesamt reifer geworden waren und diese „Schlacht“ nur Anlass und nicht Grund war, aber auf jeden Fall erlebte ich in dieser Schülerolle die Siegpotenz von Underdogs, sobald sie als solidarische Gemeinschaft auftreten.
Ein Anhänger körperlicher Gewalt bin ich damit nicht geworden. Allerdings erlebte ich recht handfest, dass es Situationen gibt, bei denen sie notwendiges Mittel ist, um Gewaltverhältnisse zu beenden. Das hatten wir – und darauf bin ich noch Jahrzehnte später stolz.

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