Freitag, 29. April 2011

Mein ganz individueller Kommunismus (19)

Das Maß an Kreativität der Arbeit war sehr hoch. Ich hätte etwas „zum Abhaken“ machen können, ohne anzuecken. Aber gerade weil ich es selbst wollte, jagte ich laufend Verbesserungen hinterher. Seltsamerweise schlug das die schwächsten Glieder der Abteilung in den Bann. Wir hatten eine Sachbearbeiterstelle bzw. Schreibkraft, die eigentlich für alle Hilfsarbeiten zu erbringen hatte, wenn sie gebraucht wurde. Die erste Kollegin existierte häufig nur bedingt physisch an ihrem Arbeitsplatz. In Gedanken (und mindestens am Telefonhörer) war sie beim fast unmöglichen Bändigen ihrer pubertierenden Tochter (sie war allein erziehend). Ihr Ruf war wenig berauschend: Faul, quatscht viel, hat von nichts Ahnung … usw. Ich war ja nicht ihr „Chef“. Aber ich missbrauchte sie zum Ideentest und für organisatorische Aufgaben mit sehr komplexen Anforderungen. Ergebnis: Sie blühte auf. Sie entwickelte Vergnügen an der (Mit-)Lösung von Problemen, die nicht von vornherein lösbar schienen. Sie brachte sich in immer beeindruckenderem Umfang in die Arbeit ein. Bei ihrer jüngeren Nachfolgerin war dies noch stärker. Während sie von den Anderen ihrer Ebene entsprechend behandelt wurde und man wenig von ihr hielt, war sie neben mir voll gut drauf. Abgesehen davon, dass sie durchaus intelligent war, verstanden wir uns extrem gut zu ergänzen. Über ihre weiblich charmanten Umgangsformen verfügte ich nun mal nicht – jeder zog aus dem Anderen die größten Nutzeffekte, zusammen ergab sich ein Niveau, auf das wir uns einiges einbilden konnte.
Beide Sachbearbeiterinnen wuchsen über sich hinaus, indem ihre Aufgabe sie forderte, indem sie ahnten, die jeweilige Aufgabe lösen zu können … und dadurch, dass sie das Gefühl hatten, dass eine schwierige Aufgabe von ihnen (mit) gelöst werden würde, weil genau sie das waren, ihre ganz persönlichen Qualitäten.
An sich Banalitäten. Aber es kann schon beeindrucken, wie weit Menschen über ihren bisherigen Schatten springen können, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Bei beiden Kolleginnen war die unterschwellige Verachtung, die ihnen meist entgegengebracht worden war, nicht einfach unberechtigt. Beide aber entfalteten eigentümliche Qualitäten, sobald die als wertvoll angenommen wurden.
Aber ich muss noch einmal zeitlich zurück greifen. Schließlich ist es nicht allein eigene ausufernde Fantasie, dank derer es mir leichter fällt, mich in Bedingungen hineinzuversetzen, die es in der uns vorliegenden Welt einfach nicht gibt, egal ob nicht mehr oder noch nicht.
Im Anschluss an das Studium war mir nämlich eine Reise vergönnt, die in gewisser Hinsicht auch eine Zeitreise gewesen ist. Dabei begann sie mit einem für mich typischen Reinfall. Gegen Ende des Studiums wurde ich mit einer Studentin verkuppelt, die ihre Semesterferien bereits geplant hatte. Ohne meine körperlichen Probleme zu berücksichtigen stimmte ich spontan zu, als sie mich fragte, ob ich mitkommen wolle. Mit befreundeten Pärchen würde sie eine Gebirgswanderung in den rumänischen Karpaten unternehmen. Einfach Rucksack gepackt und los. Bei den ersten Beanspruchungen meine Knie wurde dann deutlich: keine Chance. Alleine zurück? Liane hatte den wiederum sehr spontanen Einfall. Sie trennte sich auch von den Anderen und zu zweit begann eine Tour, bei der ich nicht sagen kann, ob sie sich heute irgendwo auf der Erde wiederholen ließe ...

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