Dienstag, 12. April 2011

Mein ganz individueller Kommunismus (2)

Allerdings war dieses erste Dorfschuljahr auf der anderen Seite zutiefst demütigend: Gestartet mit der Aussicht, wohl besser die ersten Schuljahre zu überspringen und gleich mit Klasse 4 zu beginnen, erlebte ich viele Hürden der Unfähigkeit. In Sport war ich nicht gut, in Fächern, die ein Minimaß an handwerklichem Geschick voraussetzten war ich etwa so sehr Untermaß wie im Rechnen noch Übermaß. Dies wurde durch einen pädagogischen Tiefschlag potenziert: Genetisch war (bin) ich Linkshänder, die ersten Wochen litt ich extrem darunter, ständig darauf hingewiesen zu werden, doch bitte die „richtige“ Hand zu benutzen. Irgendwann hatte ich gelernt, der Lehrerin an den Augen abzulesen, dass ich meinen Stift gerade in der falschen Hand hielt. Allmählich schrieb ich mit rechts. Lange konnte ich allerdings rechts und links nicht unterscheiden und ich habe es nie geschafft, wenigstens 50 Prozent der Schreibgeschwindigkeit meiner Mitschüler zu erreichen und meine „Handschrift“ blieb eine Zumutung für alle die die etwas von mir Geschriebenes lesen mussten. Die Krone der Demütigung erlebte ich am Ende des ersten Schulhalbjahres. Die Lehrerin ließ uns in der Reihenfolge unseres Gesamtzensurendurchschnitts antreten. Ich Wunderkind war Siebenter.
Nicht unwichtig mochte für meine queere Persönlichkeit noch gewesen sein, dass ich nach der abgebrochenen Kindergartenzeit allein zu Hause auf die Rückkehr meiner Mutter von ihrem Halbtagsjob warten musste. Grübelnd, beobachtend und … lesend. Ich entwickelte mich zu einem Außenseiter, Beobachter und Gerechtigkeitsfanatiker, wobei gerecht war, was ich richtig fand.
Keine Ahnung, wie ich geworden wäre, wäre meine Familie nicht im Frühjahr vor Abschluss der ersten Klasse in die Stadt gezogen. Nun konnte ich vom Fenster zum Hof auf den Schulhof, altehrwürdige Kastanienbäume und das Schulgebäude von 1892 sehen – ein Backsteinbau, ziegelrot und massig wie eine Festung oder Kaserne. Das wichtigste Gefühl meinen potentiellen künftigen Mitschülern gegenüber war Angst. Um keinen Preis wollte ich so isoliert wie zuvor bleiben.
Die Rolle des Chefs war vergeben, die des Klassenkaspers war frei, und wenigstens in den folgenden drei Jahren füllte ich sie fantasievoll aus. Den Unterricht zu stören fiel mir nicht schwer und die dümmsten Kinderwitze verwandelte ich in eklig lange Geschichten.
Die Rolle hatte mehrere „Vorteile“. Ein Stück Aufmerksamkeit behielt ich und beim Haupt-Mitschülermobbing konnte ich zusehen. Das Hauptopfer war diesmal ein Mädchen, das durch ihren Geruch und ihre staksigen Bewegungen am meisten auffiel und das Hinundherschubsen dadurch vergnüglicher machte, dass sie so herrlich quäkte, Angst zeigte und „Was hab ich euch getan?“ oder „Lasst mich doch in Ruhe!“ jaulte. Dem Zugriff der Lehrer entzog sich der Terror dadurch, dass „Erdnuss“ erst nach Schulschluss und vor dem Schulgebäude gequält wurde. Ihr Pech war, dass der Hofausgang neben der Haupttür lag, sodass sie nicht ungesehen die Schule verlassen konnte – und immer waren welche vor ihr da, um die sich dann die anderen Wartenden sammelten.
Es hätte natürlich niemand zugegeben und irgendwie war es erst ein Triumph, als das Mädchen aus der Schule genommen wurde und in einer „Hilfsschule“ noch bis zu Klasse 6 kam, aber im Unterbewusstsein einiger wuchs doch das Gefühl, dass wir das Leben eines Menschen zerstört hatten, der uns wirklich nichts getan hatte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen