Jeder Mensch macht so seine
Erfahrungen. Jeder Mensch verarbeitet die eigenen
Erfahrungen auf eigene Weise.
Zu meinen Erfahrungen gehörte schon
früh, dass etwas „vom Klassenstandpunkt (der Arbeiterklasse) aus
zu sehen“, praktisch bedeutete, dass der, der diese Formel
gebrauchte, sich einer inhaltlichen Diskussion entziehen wollte. Und
das besonders dann, wenn es um Fragen der Moral ging. Da war eben
keine Logik erlaubt, dass auch Menschen, die im Sinne ihrer
revolutionären Arbeiterklasse wirkten bzw. wirken wollten, Menschen
waren und als solche Fehler oder gar Verbrechen begingen, sondern es
musste alles „vom Klassenstandpunkt aus“ verteidigt werden.
Nun ist das mit dem „Klassenstandpunkt“
so eine Sache. Er ist ja erst einmal nur sehr bedingt an die
tatsächliche Zugehörigkeit zur Klasse gebunden. Marx und Engels
waren keine „Arbeiter“, ja, unter den frühen geistigen Köpfen
der Arbeiterbewegung war das wohl nur Wilhelm Weitling.
Andererseits begründen Marx und Engels
im Kommunistischen Manifest mit bestechender Logik die Identität der
Interessen der Kommunisten mit denen der Arbeiterklasse und deren
Interessen mit denen des Volkes. Er tut dies im Zusammenhang mit der
vorübergehenden Anmaßung und Berechtigung der Bourgeoisie in ihrer
revolutionären Aufschwungphase. Also dass dieses revolutionäre
Bürgertum auf der einen Seite alles tat, damit die Umsetzung der
eigenen Wünsche wie die Umsetzung des ganzen Volkes erschienen, auf
der anderen Seite, so legt er dar, waren sie es kurzzeitig auch.
Sobald die feudalen Fesseln gefallen waren, musste sich die neue als
die herrschende Klasse praktisch outen. Dies erst unterscheidet die
eigene „Revolutionalität“ von der der vorangegangenen die Macht
anstrebenden Klassen.
Nun aber kommt die Logik: Wenn der
Standpunkt der „Arbeiterklasse“ der konsequente Ausdruck der
ureigenen Interessen der (mit ihr verbundenen) Volksmassen ist (oder
– anzweifelnd – wenn er dies WÄRE) wäre es doch viel
sinnvoller, diese Identität auch zu betonen, anstatt mit der
bedingungslosen Richtigkeit des eigenen Klassenstandpunktes erst ein
Abgrenzungsmerkmal zu schaffen, das ein normaler Mensch erst
überwinden muss und aufgrund eigener Engstirnigkeit u.U. nicht
überwinden kann. Denn die Frage ist ja, wer definiert, was der
Standpunkt der Klasse ist. Diese Definitionshoheit behalten sich aber
gerade die für sich selbst vor, die den Ausdruck wie ein Banner vor
sich her tragen.
M.E. lag das Problem bei Marx ganz
anders und einfacher: Er verglich die sozialen Gruppierungen seiner
und früherer Zeiten (auch die Klassen und Unter-/Nebenklassen) und
stellte fest, dass sie gerade durch ihre Stellung zum Eigentum (aber
nicht nur) spezifische Gruppeninteressen hatten (und haben), die den
Interessen des radikalen Fortschritts entgegenstanden. Der Geselle
auf der Walz, dessen unmittelbarer Besitz an Produktionsmitteln in
seinem Zimmermannshammer bestand, war trotzdem nicht begeistert vom
gesellschaftlichen Eigentum an dem Pm, weil er nicht unberechtigt
davon träumte, bald selbst als Meister billig arbeitende Gesellen
und Stifte „unter sich“ zu haben. Was nicht bedeutete, er wollte
keinen Sozialismus … nur eben einen mit sich selbst als Meister …
und wenn sich dieses individuelle Ziel unter gegebenen Verhältnissen
umsetzen ließ, war der revolutionäre Geist schnell verweht.
Marx hatte noch die begründete
Hoffnung, dass sich die Klassenverhältnisse zugunsten einer
Großindustriearbeiterklasse vereinfachen würden. Heute bildet sich
ja selbst ein Arbeiter mit 50 Belegschaftsaktien ein, kein Arbeiter
mehr zu sein – von den verschiedenen sozialen Gruppen ganz
abgesehen, bei denen Doktorarbeiten darüber philosophieren oder
soziologisieren können, zu welcher Klasse die gezählt werden können
oder sollten oder ob überhaupt zu einer.
Ergo: Es ist (mir) also wichtig, einen
Klassenstandpunkt im Sinne der „Arbeiterklasse“ zu haben, ich
halte es in eben diesem Sinne aber für extrem kontraproduktiv, dies
wie eine Fahne vor mir her zu tragen. Ich möchte ja die
Gemeinsamkeiten im revolutionären Sinne mit eben den Menschen zum
Leben verhelfen, die entweder keinen Klassenstandpunkt haben oder
keinen haben wollen oder auch derer, die einfach sagen, dass sie
keine „Arbeiter“ sind. Wenn es zum Super-GAU der
Menschheitsentwicklung kommt, spielt das sowieso keine Rolle mehr.
Ich halte mich lieber an die Brecht-Formel „Du bist doch kein
Ausbeuter ...“
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