Donnerstag, 15. Dezember 2011

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (4)

Kindheit (4) -  Westverwandtschaft


Meine Sicht der deutsch-deutschen Fragen stammte nicht aus Schulunterrichtsquellen. Schwerin war glücklicherweise kein „Tal der Ahnungslosen“. Schon früh bezog ich die Nachrichten aus aller Welt nicht rotgefiltert aus der „Aktuellen Kamera“ sondern gegenmanipuliert von der „Tagesschau“. Allerdings hatte ich eben schon gelernt, dass es keine „Nachrichten“ an sich gibt. Ich hatte selbst das entdeckt, was „Sudel-Ede“ Schnitzler aus den Westsendungen extrahierte. Auch an der Stelle war ich früh Außenseiter: Mir gefiel der Typ, der in der trüben Brühe der anderen Seite fischte.
Ganz unschuldig an meinem Verständnis „kapitalistischen“ Denkens war sicher auch nicht, dass alle Verwandtschaft im Westen lebte. Langsam der kindlichen Überheblichkeit entwachsend entwickelte ich ein feines Gespür für Herablassung und Überheblichkeiten anderer Leute. Es mag ein Stück Selbsthass gewesen sein, von fremden Hochnäsigkeiten besonders stark abgestoßen zu sein.
Dazu kamen die Westpakete. In meine Erinnerung eingebrannt bleibt der Geruch ranziger Rama. Es waren noch mehr „Lebensmittel“ drin, aber auch Sachen zum Anziehen, die schon (ab)getragen waren. Ich empfand es als beleidigend, sah zwar ein, dass Geschwister und Eltern Beziehungen zueinander haben … aber warum wiesen sie das Zeug nicht zurück? Meine Mutter war eine kriegspragmatische Frau. Sie konnte immer alles gebrauchen, filterte Notwendiges aus ihrer Verkäuferinnen-Tätigkeit und unserem Garten heraus, sodass wir nicht nur keinen Hunger kannten, sondern uns auch abwechslungsreich ernährten (und auf ranzige Margarine bestimmt nicht warteten). Hätte ich dann noch die Hintergründe jener westlichen Sorge für uns armen „Zonenbewohner“ gekannt … : Meine Großeltern (also die Eltern meiner Mutter) hatten in kleinbürgerlichen Verhältnissen in der Nähe von Breslau gelebt. In den 20er Jahren reichte es zu einem kleinen Häuschen. Dann kam die Flucht. Im Westteil Deutschlands wurden sie Flüchtlinge, im Ostteil wir Mitbürger. Als Flüchtlinge bekamen sie für ihren verlorenen Besitz eine Entschädigung – diese nahmen sie „treuhänderisch“ auch für die Verwandte außerhalb ihrer „freien Welt“ entgegen. Akribisch verrechnete meine Tante die Paketinhalte mit diesem „Treuhandvermögen“ meiner Mutter – und natürlich wurden die Pakete als Unterstützung der bedürftigen Verwandtschaft in den Ostgebieten steuermindernd (pauschal, Masse beachten!) geltend gemacht. Vom Ergebnis war ihr letztlich eine „Geldwäsche“ zu ihren Gunsten gelungen. Man hätte es auch Beschiss nennen können. Zumindest solidarisch war es nicht.



Dies ist ein biografischer Text, den ich geschrieben hatte, um ihn eventuell in einem Buch zu meinen Vorstellungen zu veröffentlichen. An dieser Stelle präsentiere ich ihn unabhängig davon, ob er je Eingang in ein Buch finden wird. Der Länge wegen teile ich ihn auf. Der vollständige Text findet sich hier.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (3)

Kindheit (3) - Staatsbürgerkunde-Unterricht


Ab Klasse 7 wollte man unser Bewusstsein durch Staatsbürgerkunde- und Geschichtsunterricht „bilden“. Rückblickend muss ich allerdings sagen, dass die ethischen Normen, die nun Namen bekamen, längst geprägt waren, indem sie uns vorgelebt oder eben nicht vorgelebt wurden. „Gut“ oder „Böse“ ist greifbarer als als „Sozialismus“ und „Kapitalismus“.
Vielleicht hätte ich ein freundlicheres Verhältnis zur „Nationalen Volksarmee“ der DDR entwickelt, aber die Verhältnisse waren eben nicht so. Meine Sportbegeisterung war nie so groß, dass mich Körperertüchtigung gelockt hätte. Emotional ein egozentrischer Anarchist war mir jeglicher unterordnender Gehorsam zutiefst zuwider. (In einem krankhaften Anfall von Übermachtssadismus spielte ich einmal meinem engsten Freund gegenüber einen SS-Mann: Ich zwang den schwarz Gelockten durch brutale Gewalt dazu „Ich bin eine dumme Judensau!“ auszurufen, um frei zu kommen … und ich könnte nicht sagen, vor wem ich mich nachher mehr ekelte: vor ihm, der sich derart demütigen ließ, oder vor mir, dass ich zu so etwas fähig gewesen war …) Rund wurde meine Grundhaltung zum Thema Armee eigentlich erst dadurch, dass es in der Klasse bei den Auseinandersetzungen mit der Staatsbürgerkundelehrerin einen einzigen Schüler gab, der die Antworten suchte, von denen er annahm, dass die Lehrerin sie hören wollte. Dieser Speichellecker mit mäßigem geistigen Niveau strebte an, Offizier zu werden. Ich konnte ihn mir einfach zu gut in preußischen Stiefeln vorstellen. Das schon vorher ausgeprägte Bild, Körperkraft zeigten die, denen es an Geisteskraft mangelte, wurde untermauert – nur eben auf höherer Ebene.
Aber die Stabü-Lehrerin hatte auf ihre Weise bei mir dann doch etwas bewegt. Im Nachhinein tut sie mir eigentlich leid. Es war mir ein teuflisches Vergnügen, den ungeliebten „Rotlicht“-Unterricht zu sprengen. Hier konnte ich die ganze spitzfindige Raffinesse boshafter Sprachanalyse an die Front werfen. Ich hatte die meisten Schulbücher schon vor Beginn der Unterrichtsjahres überflogen. Im Staatsbürgerkunde-Lehrbuch fiel mir dabei etwas auf: Außer bunten Bildchen gab es Kästchen mit Zitaten der „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus, die ich sozusagen als die Verkündigung Moses ansah (so waren sie wohl auch gemeint), während der eigentliche Text das profane Bla-Bla war. Das Gute daran: Es ließen sich in dem profanen Zeug Widersprüche zu Gottes, Pardon: Marxens, Kernsätzen in den Kästchen entdecken. Also sprengte ich Stunden mit der Absicht zu beweisen, dass das, was wir als wunderbare Wirklichkeit unserer größten DDR aller Zeiten erklärt bekommen sollten, gar nicht das war, was der große Marx sich als sozialistische Gesellschaft vorgestellt hatte. Widerspruch als Denksport.
Die intelligenten Mitschüler verfolgten die Diskussionen mit Vergnügen und unterstützten mich nach bestem Wissen. Die weniger intelligenten freuten sich, dass die Stunden nicht als langweilige Lernstunden versandeten. Nur jener Möchtegern-Offizier mühte sich um Unterstützung der Lehrerin. Die war von uns Jungen begeistert. Weil wir so offen Interesse zeigten, ließ sie ihre Stundenvorbereitung in der Tasche und versuchte, unser Denken zu lenken. Argumente wurden nicht niedergeschlagen und „Erklärungen“ vermittelt, wie wir etwas sehen sollten, sondern sie versuchte, uns die Widersprüchlichkeit von Vorgängen begreiflich zu machen. Nicht einfache Antworten, sondern Bewegung und unter der Oberfläche des offen Sichtbaren gebe es erkennbare Zusammenhänge, um deren Aufdeckung man sich bemühen muss – das nenne man im Sinne von Marx zu handeln und das könne sogar Spaß machen.
Sie verführte mich damit zu einem Trugschluss: Voreiligerweise dachte ich, so sei politische Bildung. Im Geschichtsunterricht wurde ich eines Besseren belehrt. Der Geschichtslehrer frönte der großen Liebe zu seinen optisch faszinierenden Tafelbildern. Mit feiner Schrift verteilte er über die ausgeklappte Tafel (mitunter einschließlich Rückseite) Kästchen, zwischen denen er Pfeile fliegen ließ. Vorher – nachher, Ursache – (Anlass) – Wirkung … Extrem schematisch, obwohl nicht einmal undialektisch. Von der Ursache ein dicker Pfeil zur Wirkung und darunter dann der dünne Pfeil dafür, dass das, was eigentlich Folge war, auf die ursprüngliche Ursache zurückwirkte und dass es eben Haupt- und „Neben“-Gründe derselben Sache gebe.
In diesem Fach wurde erstmals laut das Wort „Kommunismus“ ausgesprochen. Über den Begriff wusste ich wenig. Eigentlich nur, dass das eine „klassenlose Gesellschaft“ wäre, in der es „keinen Staat“ gäbe. Mit Klassen konnte ich wenig anfangen, eigentlich nur mit Schulklassen, Staat aber, da gehörten also mindestens all die Gewaltinstrumente dazu. Die hat jeder, um sich selbst zu verteidigen. Ließe also eine Seite ihren „Staat“ verschwinden, wäre der Weg der anderen Seite frei, die eigene Macht zu erweitern. Also kann es einen „Kommunismus“ auf der Welt auf jeden Fall nicht geben, solange es zugleich das Anti-System Kapitalismus gäbe … Mit dieser Schlussfolgerung begann ich; zur logischen Herleitung kam ich nicht mehr. Mir wurde sofort das Wort entzogen und mich traf ein Schwall von Flüchen. Die übelste Bezeichnung, mit der ich versehen wurde - mit der ich aber nichts anzufangen wusste, außer dass es des Tonfalls wegen etwas Grauenvolles sein musste – war „Trotzkist“. Wahrscheinlich noch etwas Schlimmeres als Faschist und ich hatte gerade die schlimmstmögliche Feindpropaganda in den Raum geworfen.
Alles nur wegen einer primitiven logischen Ableitung, hinter der ich, wenn auch umfassender begründet, auch heute noch stehe. Wenn ich dem entsetzten Doggen-Lehrer noch an den Kopf geworfen hätte, dass also der entfaltete „Kommunismus“ keine Politik der friedlichen Koexistenz kennen könne – weil dies ja eine Beziehung zwischen Staaten sei, die es per Definition nicht mehr gäbe – wäre entweder er mit dem Notarzt oder ich durch Ledermantelmänner aus dem Klassenraum geführt worden. Natürlich habe ich mir bei diesem Lehrer weitere Schlussfolgerungen verkniffen.



Dies ist ein biografischer Text, den ich geschrieben hatte, um ihn eventuell in einem Buch zu meinen Vorstellungen zu veröffentlichen. An dieser Stelle präsentiere ich ihn unabhängig davon, ob er je Eingang in ein Buch finden wird. Der Länge wegen teile ich ihn auf. Der vollständige Text findet sich hier.

Dienstag, 13. Dezember 2011

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (2)

Kindheit (2)


Das Problem der Prügel, des Mobbings der Schwachen, war damit aber noch nicht gelöst. Es fanden nämlich immer ausreichend körperlich Überlegene zusammen, um Schwächere zu quälen. In die Gruppe der „Schwächeren“ gehörte sogar ein Junge von hohem Körpergewicht, dem es aber an Schnelligkeit und Beweglichkeit mangelte. Was am meisten auffiel: Die da prügelten, waren „leistungsschwache“ Schüler, die sich auf solche Weise ihr „Sieg-Erlebnis“ aus der Schule holten, die Betroffenen jedoch versuchten – letztlich meist erfolglos – sich im Bewusstsein der bevorstehenden Niederlage der körperlichen Auseinandersetzung zu entziehen … sie liefen also davon. Eigentlich ging dies so bis Klasse 7. Und dann passierte etwas, was ich im Nachhinein vielleicht überbewertet und fehlinterpretiert habe. Aber es ist eben genau so passiert:
In einer großen Hofpause war es mir gelungen, alle, die eigentlich auf „meine“ Seite gehörten, zu sammeln. Es kam zur Schlacht. Diesmal blieben wir nicht nur (wie sonst auch) zahlenmäßig überlegen, sondern wir kämpften auch geschlossen. Und wir beendeten diese Hofpause als Sieger. Womit ich nicht gerechnet hatte, trat ein: Von kleinen „Kabbeleien“ (wie das meine Mutter genannt hätte) abgesehen, trat ein dauerhafter Friede ein. Nicht, dass wir nun alle Freunde geworden wären, aber das permanente Massenmobbing war zu Ende.
Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass wir einfach insgesamt reifer geworden waren und diese „Schlacht“ nur „Anlass“ der Veränderung war, aber auf jeden Fall erlebte ich hier die Siegpotenz von Underdogs, sobald sie als solidarische Gemeinschaft kämpfen. Ein Anhänger körperlicher Gewalt bin ich damit nicht geworden. Allerdings hatte ich eine Situationen erlebt, bei der sie notwendiges Mittel gewesen war, um Gewaltverhältnisse zu beenden.



Dies ist ein biografischer Text, den ich geschrieben hatte, um ihn eventuell in einem Buch zu meinen Vorstellungen zu veröffentlichen. An dieser Stelle präsentiere ich ihn unabhängig davon, ob er je Eingang in ein Buch finden wird. Der Länge wegen teile ich ihn auf. Der vollständige Text findet sich hier.

Sonntag, 11. Dezember 2011

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (1)

Einleitung und Kindheit (1)


„Kommunismus“ ... ganz individuell? Am Ende sogar „individualistisch“?
Ja, genau das ist meine Ansicht, dass er so sein wird. Es soll hier nichts abgehandelt werden, was nur Philosophieprofessoren verstehen können, sondern es geht um das Denken echter „Normalos“. Sollten sich bei mir irgendwo „Wissenschaften“ eingeschlichen haben, so verzeihe man mir das Fremdgehen. Ich bin nur ein „Künstler“ - eine Bezeichnung, die nicht geschützt ist, sodass sich jeder Mensch damit schmücken kann - also auch ich. Als solcher gebe ich zu: Ich bin Individualist. Hielte ich „Kommunismus“ für eine verordnete Gleichmacherei im Sinne einer Kollektivierung, wäre er keine für mich wünschenswerte Zukunftsvorstellung. Für Massenparaden vorbei an einem Großen Vorsitzenden bin ich nicht gemacht. Ich habe meine eigene Sicht darauf, was „vernünftig“ ist. Die muss man nicht teilen. Aber schon als penetrant aufdringlicher Schüler konnte ich es mir schon früher nicht verkneifen, dazwischenzurufen und den Finger vor lauter Fragen oben zu behalten. Warum sollte ich es dann heute unterlassen, provokatorische Fragen in den Raum zu stellen? Vielleicht hilft es der Fantasie Anderer auf die Sprünge … Sagen wir einem … oder zwei Anderen … oder …

Keine Ahnung, wie ich geworden wäre, wäre meine Familie nicht im Frühjahr vor Abschluss der ersten Klasse in die Stadt gezogen. Zuvor war ich als Außenseiter regelmäßig verprügelt worden. Das wichtigste Gefühl meinen potentiellen künftigen Mitschülern gegenüber war am Anfang deshalb nackte Angst. Um keinen Preis wollte ich aber wieder so isoliert bleiben wie zuvor.
Die Rolle des Chefs war vergeben, die des Klassenkaspers frei, und wenigstens in den folgenden drei Jahren füllte ich sie fantasievoll aus. Den Unterricht zu stören fiel mir nicht schwer und die dümmsten Kinderwitze verwandelten sich in meinem Mund in lange Geschichten. Die Rolle hatte mehrere „Vorteile“: Man schenkte mir Aufmerksamkeit und beim großen Mitschülermobbing konnte ich zusehen. Das Hauptopfer war über viele Monate ein Mädchen, das durch ihren Geruch und ihre staksigen Bewegungen auffiel und das Hinundherschubsen dadurch vergnüglicher machte, dass sie so herrlich Angst zeigte und „Was hab ich euch getan?“ oder „Lasst mich doch in Ruhe!“ jaulte. Dem Zugriff der Lehrer entzog sich der Terror dadurch, dass „Erdnuss“ erst nach Unterrichtsschluss und draußen vor dem Schulgebäude gequält wurde. Der Hofausgang lag neben der Haupttür, sodass sie nicht ungesehen die Schule verlassen konnte – und immer waren welche vor ihr da, um die sich dann die anderen Wartenden sammelten.
Zuerst war es so etwas wie ein Triumph, als das Mädchen aus der Schule genommen wurde und in einer „Hilfsschule“ bis zu Klasse 6 kam. Dann aber … Es hätte natürlich niemand zugegeben, aber im Unterbewusstsein einiger Mitschüler wuchs doch das Gefühl, dass wir das Leben eines Menschen zerstört hatten, der uns wirklich nichts getan hatte. Und in meinem erwachte das dauernd schlechte Gewissen, dass ich lachend dabei gestanden hatte.
Mit dem Verschwinden des „Standardopfers“, an dem sich meine Mitschüler ihren Schulfrust abreagiert hatten, begann die Suche nach neuen. Wir waren eine Klasse mit Jungen-Überschuss und die körperlich stärkeren begannen nun die Jagd auf Schwächere. Damit geriet auch ich wieder ins Visier. Allerdings hatte sich die Situation innerhalb der Klasse verändert. Es waren nicht nur gelegentlich ein paar Kinder in meiner Nähe, um meine Blödeleien zu hören, sondern ich hatte einen Kreis von kindlichen Partnerschaften: Einen Freund, der an mir hing wie Watson an Holmes, und noch ein paar Andere, durch die ich mich als Bandenchef fühlte. Ausnahmslos umgaben mich aber nur körperlich Schwache. Die gegenseitige Hilfe bestand unter anderem darin, dass ich bei den Hausaufgaben half und dafür meine Kunst-Werke für den Zeichenunterricht vorbereitet bekam, sodass Vieren in Zeichnen nun selten wurde. Meine logische Lektion: Andere konnten etwas, was ich nicht konnte, und umgekehrt. Wenn dies auch offiziell nicht erwünscht war, eigentlich sogar als Betrug bewertet wurde, so stand doch fest, dass die gegenseitige Nutzung unserer Stärken für alle Beteiligten Vorteile brachte. Es machte mir dabei wenig aus, dass ich mehr einbrachte, als ich herausholen konnte.




Dies ist ein biografischer Text, den ich geschrieben hatte, um ihn eventuell in einem Buch zu meinen Vorstellungen zu veröffentlichen. An dieser Stelle präsentiere ich ihn unabhängig davon, ob er je Eingang in ein Buch finden wird. Der Länge wegen teile ich ihn auf. Der vollständige Text findet sich hier.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Darwin und ein wenig Spekulation (2)

Sagen wir so: Unsere bekannte Pflanzenwelt wäre total ärmlich, wenn sie sich nach dem Prinzip des Kampfes ums Überleben der Fitten allein organisiert hätte. Im Falle eine „Gegnerschaft“ wären die Insekten gefressen worden. Es erschien aber „sinnvoll“, diese Tiere zu Helfern beim eigenen Überleben zu machen.
Ich wage zu behaupten, dass die Entstehung von „Organen“ auf das Wirken eines „symbiotischen Prinzips“ zurückzuführen ist. Eine „innere Logik“, die Zellengemeinschaften bevorteilt haben muss, bei denen Lebensaufgaben spezialisiert ausgeführt wurden. Der Hauptzweig förderte diese Spezialisierung innerhalb eines relativ festen körperlichen Systems, also klar umrissene Organe eines Gesamtlebewesens, ein anderer ermöglichte Systeme frei strukturierter Eigenlebewesen zu einer Überlebensgemeinschaft. Letzteres also besagte Darmbakterien innerhalb des Wirtskörpers; man kann aber auch im weiteren Sinne Insektenvölker dazu zählen: Bestimmte Vertreter einer Art existieren nicht mehr in erster Hinsicht als einzelnes Lebewesen, sondern sichern „nur“ das Überleben des Metakörpers „Volk“. Man sollte sich dabei vor jeder Bewertung hüten. Ich behaupte allerdings, dass in symbiotischen Systemen das kreativere Potential steckt – etwas was in einer ungesteuerten Natur zur Selbstzuwucherung alles Lebens führte, würde es nicht früher oder später durch Auslesemechanismen ergänzt. Ergo: Ich bin überzeugt, die Symbiosen waren zuerst da.
Und nun stoßen wir mit dem Menschen erstmals auf die Potenz der bewussten Gestaltung. Ich sage absichtlich „Potenz“. Also es geht um die wachsende Möglichkeit, Folgen von Eingriffen ins Gesamtsystem belebte Natur über die unmittelbare Folge des konkreten Eingriffs hinaus zu beurteilen. Die rohe natürliche Weise, mit der das Ausufern einer Evolutionslinie über eine Gegenlinie, dessen durch eine weitere und immer weiter fort verhindert wird, verliert ihre Notwendigkeit. An ihre Stelle treten (mindestens) zwei Haupttrends: Erst einmal schafft der Mensch „Übersichtlichkeit“ im Sinne der Verminderung der Gegenlinienzahl. Also „Lebewesen“, die das ungehemmte Verbreiten bestimmter Lebensformen bremsen, werden als „Krankheiten“, „Parasiten“, „Raubtiere“ usw. bekämpft. Damit werden Systeme geschaffen, die nur der relativen Besserexistenz der Menschheit zu nutzen scheinen. Damit schreibt „die Menschheit“ eine „Selbstverpflichtung“ zur bewussten „Verbesserung“ des Vorhandenen. Was wäre denn der Sieg übe eine tödliche Krankheit wert, wenn das Leben der „gesunderen“ Menschen weniger lebenswert wäre?
So muss die Menschheit auch einen anderen Trend bewusst wagen: Vorsätzlich die Vielfalt der Lebenszusammenhänge, deren eines Teilchen der Mensch als Art ist, erhalten. ...Aber eben auch bewusst neue Selbstverwirklichungsmöglichkeiten schaffen, die ein immer ausgeklügelteres System des eigenen Weiterexistierens ermöglichen. Primitiv gesagt: Wer nicht will, dass Menschen bestimmter Eigenart faschistisch ausgelesen werden, muss Plätze schaffen, in denen sie „sinnvoll“ sind.

Dienstag, 6. Dezember 2011

Darwin und ein wenig Spekulation (1)


Darf ein „Marxist“ über etwas spekulieren, was unter aktuellen Bedingungen teilweise nicht nachprüfbar ist? Wer also hier nein sagt, sollte nicht weiter lesen.
Als die Darwinsche Evolutionslehre veröffentlicht wurde, war sie grundsätzlich revolutionär. Die Erkenntnis, dass die vorhandene Artenvielfalt des Lebens keine „gegebene“, sondern eine „gewordene“ ist, vertrieb Ideen eines einmaligen „Schöpfungsaktes“ „göttlicher“ Art ins Reich der religiösen Ahnungslosigkeit. So weit so gut.
Verwunderlich finde ich trotzdem, dass es so wenig Widerspruch von „links“, genauer aus der Ecke dialektischer Denker gegeben haben sollte. Insofern vermag ich vieles auch nur als Fragen zum Weiterdenken in den Raum werfen.
Was stört mich an der Methode?
Ich halte sie für einseitig und insoweit undialektisch. Ein dialektisches Herangehen an einen Sachverhalt schließt Mehreres ein: Dass er sich in ständiger Entwicklung befindet, dass er sich vom Niederen zum Höheren entwickelt, dass er sich in Wechseln von allmählich Evolutionärem und sprunghaft Revolutionärem zeigt … vor allem aber dass er immer neu als Einheit von mindestens zwei Widersprüchen auftritt.
Um es anhand der wörtlich genommenen Faust-Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, zu sagen: Es ist nie EINE Kraft. Im Moment unterscheiden wir vier Kräfte. Wichtig ist, dass immer mindestens zwei eine relative Harmonie schaffen. Die Erde bewegt sich um die Sonne, weil sie selbst über Energie verfügt, die verhindert, dass die Gravitationskraft der Sonne uns in unser Zentralgestirn hineinzieht – ein Modell, das mit anderen Komponenten auch für die Atome gilt.
Die biologische Auslese der Fittesten kann sozusagen philosophisch nur die Kraft in eine Richtung sein. Früher oder später blieben nur noch die Fittesten der Fittesten und dann auch die nicht mehr, da sie allein gar nicht mehr existieren könnten.
Es muss also noch etwas grundsätzlich entgegen Gerichtetes geben. Dafür spricht auch ein logischer Gesichtspunkt: Eine Auslese der Fittesten kann nur aus bereits vorhandenen Fitten erfolgen. Also eine göttliche Urschöpfung durch die Hintertür?!
Und nun wird es schwierig. Ich bezeichne das „Gegenprinzip“ als das der Symbiose. Nun kennen die heutigen Evolutionsstufen Symbiosen, vor allem im engeren Sinn, nur noch als exotische Randerscheinungen. Man wählt dort gern das hübsche Bild des Einsiedlerkrebses mit „seiner“ Anemone auf dem Rücken. Das kann man bestaunen „Wie niedlich!“ oder schlimmer „Schaut, auch so etwas hat die Evolution hervorgebracht!“
Was aber, wenn Symbiosen die Mütter der Evolution sind?
Gehen wir erst einmal davon aus, dass alle Ursprünge der Evolution nicht unmittelbar bewusst waren, es also keinen „Gedanken“ gab, was zweckmäßig war.
Gehen wir weiter davon aus, dass es Strukturen gab und gibt, die objektiv zweckmäßig sind.
Hier verstehe man unter „zweckmäßig“ die (erweiterte) Reproduktion von Leben. Leben wiederum definieren wir als in sich relativ geschlossenes System geballter Information mit Selbsterhaltungsmechanismus. „Relativ geschlossen“ sowohl räumlich als auch zeitlich. Also Leben definiert sich auch über den Tod.
Nun hoffe ich, auf nicht zu großen Widerspruch zu stoßen, wenn ich jeden einzelnen Menschen als System von festen funktionalen Teilsystemen und Symbiosen bezeichne, wobei manches dabei eine Definitionssache ist: Ohne unsere „Organe“ würden wir nicht „leben“, aber eben auch nicht ohne das „Leben“ bestimmter Darmbakterien.  

Freitag, 2. Dezember 2011

Gleichheit allein durch Cyberspace?


Die Sendung ist interessant. Zugleich merkt man, wie viel Wahres sich durch wenige grundsätzliche Unwahrheiten erdrücken lässt.
Wir können die Legende vom Idealismus der Urväter des Systems der Vernetzung des world wide web noch so oft wiederholen … sie wird nur eine „Teilwahrheit“. Die theoretische Gleichheit des freien, regellosen Zugangs zu Informationen ist praktisch den Gegebenheiten der gesellschaftlichen Verhältnisse unterworfen.
Richtig ist, das WWW in seiner revolutionären Kraft mit der Erfindung des Buchdrucks zu vergleichen. Aber im Prinzip haften dem Vergleich dieselben Vorbehalte an. Die damals leichter verfügbaren geistigen Menschheitspotentiale waren nicht die Lösung. Sie waren nur ein gewaltiges Mittel, eine gesellschaftliche Lösung zu befördern.
Natürlich hätten die Ideen, die letztlich den Zerfall des Feudalismus zur Folge hatten, ohne gedruckte Bücher um ein Vielfaches langsamer Verbreitung gefunden. Aber ohne Dampfmaschine, Fabrikproduktion überhaupt, hätte den „Ideen“ im Sinne der gesellschaftlichen Vorstellungen der materielle Boden gefehlt. Die deutsche Frühbürgerliche Revolution blieb stecken, der freie Bürger entfaltete sich erst drei Jahrhunderte später … in Frankreich nach seiner englischen und niederländischen Ausführung.
Wir sind nicht automatisch das, was die technischen Potentiale uns erlauben. Wir werden es nur durch unser revolutionäres Handeln.
Längst hat das Große Geld das Medium Netzfreiheit durchdrungen. Nicht Gleichheit … der ahnungslose User macht sich seinen Plünderern gegenüber auch noch freiwillig nackig.
Die folgenden Dinge sind eben voneinander zu unterscheiden:
  • alles sagen und schreiben können, sodass jeder in der Masse untertaucht,
  • die Mittel haben, sich selbst herauszuheben, was schon die Gleichheit aufhebt,
  • die Lehre ziehen, dass der Besitz an bestimmten Mitteln eben doch entscheidend ist,
  • die Besitzverhältnisse ändern …
Ohne veränderte Besitzverhältnisse werden die ekligsten Seiten des Kapitalismus, die totale Vermarktung jedes Lebensmoments, die Verwandlung des Menschen in einen überwachten und fremdgesteuerten Kunden, praktisch nur perfektioniert.