Donnerstag, 15. Dezember 2011

Wie ich trotz und wegen der DDR zu meinem ganz individuellen Kommunismus fand (4)

Kindheit (4) -  Westverwandtschaft


Meine Sicht der deutsch-deutschen Fragen stammte nicht aus Schulunterrichtsquellen. Schwerin war glücklicherweise kein „Tal der Ahnungslosen“. Schon früh bezog ich die Nachrichten aus aller Welt nicht rotgefiltert aus der „Aktuellen Kamera“ sondern gegenmanipuliert von der „Tagesschau“. Allerdings hatte ich eben schon gelernt, dass es keine „Nachrichten“ an sich gibt. Ich hatte selbst das entdeckt, was „Sudel-Ede“ Schnitzler aus den Westsendungen extrahierte. Auch an der Stelle war ich früh Außenseiter: Mir gefiel der Typ, der in der trüben Brühe der anderen Seite fischte.
Ganz unschuldig an meinem Verständnis „kapitalistischen“ Denkens war sicher auch nicht, dass alle Verwandtschaft im Westen lebte. Langsam der kindlichen Überheblichkeit entwachsend entwickelte ich ein feines Gespür für Herablassung und Überheblichkeiten anderer Leute. Es mag ein Stück Selbsthass gewesen sein, von fremden Hochnäsigkeiten besonders stark abgestoßen zu sein.
Dazu kamen die Westpakete. In meine Erinnerung eingebrannt bleibt der Geruch ranziger Rama. Es waren noch mehr „Lebensmittel“ drin, aber auch Sachen zum Anziehen, die schon (ab)getragen waren. Ich empfand es als beleidigend, sah zwar ein, dass Geschwister und Eltern Beziehungen zueinander haben … aber warum wiesen sie das Zeug nicht zurück? Meine Mutter war eine kriegspragmatische Frau. Sie konnte immer alles gebrauchen, filterte Notwendiges aus ihrer Verkäuferinnen-Tätigkeit und unserem Garten heraus, sodass wir nicht nur keinen Hunger kannten, sondern uns auch abwechslungsreich ernährten (und auf ranzige Margarine bestimmt nicht warteten). Hätte ich dann noch die Hintergründe jener westlichen Sorge für uns armen „Zonenbewohner“ gekannt … : Meine Großeltern (also die Eltern meiner Mutter) hatten in kleinbürgerlichen Verhältnissen in der Nähe von Breslau gelebt. In den 20er Jahren reichte es zu einem kleinen Häuschen. Dann kam die Flucht. Im Westteil Deutschlands wurden sie Flüchtlinge, im Ostteil wir Mitbürger. Als Flüchtlinge bekamen sie für ihren verlorenen Besitz eine Entschädigung – diese nahmen sie „treuhänderisch“ auch für die Verwandte außerhalb ihrer „freien Welt“ entgegen. Akribisch verrechnete meine Tante die Paketinhalte mit diesem „Treuhandvermögen“ meiner Mutter – und natürlich wurden die Pakete als Unterstützung der bedürftigen Verwandtschaft in den Ostgebieten steuermindernd (pauschal, Masse beachten!) geltend gemacht. Vom Ergebnis war ihr letztlich eine „Geldwäsche“ zu ihren Gunsten gelungen. Man hätte es auch Beschiss nennen können. Zumindest solidarisch war es nicht.



Dies ist ein biografischer Text, den ich geschrieben hatte, um ihn eventuell in einem Buch zu meinen Vorstellungen zu veröffentlichen. An dieser Stelle präsentiere ich ihn unabhängig davon, ob er je Eingang in ein Buch finden wird. Der Länge wegen teile ich ihn auf. Der vollständige Text findet sich hier.

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