In der „guten Stube“ empfing uns „die Familie“, die im Laufe des Nachmittags und Abends immer weiter anschwoll. Was sich dabei ereignete, war höchstens mit einer großen Hochzeitsfeier vergleichbar. Man muss dazu wissen, dass die Rumänen zu dieser Zeit in dieser Gegend extrem ärmlich lebten. Uns waren die Alten vertraut, in Fahrzeugen, die „Busse“ zu nennen eine sehr charmante Schmeichelei war, mit Säcken zum nächsten Marktflecken unterwegs waren, um darin Fladen und anderes einfaches einfaches Essbares für die Gemeinschaft heranzubuckeln. Auf der Festtafel vor uns mangelte es an nichts. Immer wieder wurden wir unmissverständlich genötigt, das und das und das zu probieren. Jemand, mit dem wir uns halbwegs fließend hätten sprachlich verständigen können, fand sich nicht. Zu unseren Ehren (?!) wurde ein Fest abgehalten, das uns in die Ebene von Staatsgästen erhob und das zusammengerechnete Monatseinkommen der Anwesenden übersteigen konnte. Übersättigt und stark angetrunken sanken wir letztlich irgendwann in unsere Himmelbetten. (Wir bekamen am Morgen mit, dass wir im Schlafzimmer der Bewohner einquartiert worden waren.)
Wir wurden verabschiedet wie gute alte Freunde – wenn auch in der Gewissheit, dass wir einander nie wieder sehen würden. Der Schock kam aber erst, als wir – schon eine Tour weg – Mittagsrast machen wollten. Da stellte sich nämlich heraus, dass außer den Fresspaketen „jemand“ uns noch Bierflaschen in die Rucksäcke gesteckt hatte. Dazu muss man eben wissen, dass Bier in jener Gegend nicht nur extrem teuer, sondern auch selten gewesen war. Der heimliche Beschenker war zurecht davon ausgegangen, dass wir diese Gabe nicht angenommen hätten (hätten annehmen können).
Ich kann nicht einmal sagen, ob wir wenigstens auf Rumänisch „Danke!“ gesagt haben … (Zumindest den Abschiedsgruß haben wir wiederholt.)
Ich gebe zu, dass ich selbst zu einer solch vorbehaltlosen Form der Gastfreundschaft Fremden gegenüber nicht fähig wäre. Allerdings die Freude an der Feier konnten wir mitempfinden. Und wir erahnten zumindest das spitzbübische Vergnügen der Einheimischen bei der Vorstellung, mit welcher Verwunderung (und Freude) wir die heimliche Gabe entdecken würden. Nach unseren Relationen war diese unschuldige Freude allerdings extrem teuer „erkauft“.
In gewisser Hinsicht war dieses Erlebnis mit einem starken „Nachschmerz“ verbunden:
Als die „Marktwirtschaft“ wieder in die Übergangswelt DDR eingerückt war (die eben Kapitalismus nicht mehr, aber Sozialismus noch nicht gewesen war), gab es zeitweise eine Schwemme rumänischer Bettler. Ich sah sowohl jene Selbstverständlichkeit, mit der die dort Bedürftigen geholfen hatten – und die sie demzufolge nun irgendwie „hier“ erwarteten – und ich sah die Abfälligkeit in den Blicken der vorbei Flanierenden. Und ich wollte keine (eigentlich beleidigenden) Almosen geben und hatte … Angst vor den fremden Fremden ...
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