Friedrich Engels schrieb einmal sinngemäß: Trotz aller Beherrschung der Natur soll der Mensch nicht vergessen, daß er selbst Teil der Natur ist. Das wird auch im Kommunismus nicht anders sein.
In einem Interview zur gegenwärtigen K-Wort-Debatte fragte der ungarische Philosoph G. M. Tamas, ein linker Grüner, nach dem Inhalt des Begriffs „Natur des Menschen“, ohne dafür selbst eine schlüssige
Erklärung geben zu können. Er vertrat die Auffassung, im Kapitalismus werde „dem menschlichen Wesen durch die Pflicht zur Arbeit Gewalt angetan“. Tamas führt das auf die in dieser Gesellschaftsordnung bestehende Arbeitsteilung zurück. Ganz davon abgesehen, daß dieser Begriff hier die Trennung des Produzenten von den Produktionsmitteln bedeuten soll (in der marxistischen Philosophie ist damit der technische Prozeß gemeint), kann man durchaus geteilter Meinung über die Frage einer „Pflicht zur Arbeit“ sein. Weiter konstatiert Tamas: „Es ist höchste Zeit, daß wir ein Leben führen, in dem wir nicht nur frei sind, sondern Genugtuung erfahren, Vergnügen und Glückseligkeit. Auch bei der Arbeit.“
Der Gedanke, den Menschen von der Pflicht, vom Zwang zur Arbeit zu befreien, wird auch von Politikern der Partei Die Linke und anderen Teilnehmern an dieser Debatte gefordert. – Das bedarf nach meiner Überzeugung genaueren Durchdenkens. Wenn wir der Diskreditierung des Kommunismusbegriffs
entgegentreten wollen, dann müssen wir uns so ausdrücken, daß die Menschen klare Vorstellungen von dessen Bedeutung erhalten, um den Antikommunismus ad absurdum führen zu können.
Wenn heute jemand eine Klinik betritt und vor dem Chefarzt steht, wird er zunächst Achtung vor dessen Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten empfinden und es nicht wagen, in den Operationssaal mit der Forderung
zu stürmen, seinen Blinddarm selbst herausnehmen zu wollen. Bei komplizierten Problemen der gesellschaftlichen Entwicklung aber meint jeder, er könne dank seiner Erfahrung, instruiert von den Massenmedien und auf der Basis solider Allgemeinbildung, mitreden und sich ein sicheres Urteil bilden. Doch das allein genügt nicht. Wenn wir den Menschen sagen, wir wollten eine andere Welt, müssen wir auch versuchen, ihnen diese zu beschreiben. Es genügt nicht zu sagen, wogegen wir sind, wenn wir nicht zugleich erklären, wofür wir kämpfen. (Das ist leider auch ein großes Manko des spontanen Aufbegehrens der arabischen Völker in unseren Tagen. So forderten sie zum Beispiel den Rücktritt Mubaraks, ohne zu wissen, daß dieser lediglich als e i n Sachwalter des Reichtums der Kapitalisten, der ihre Armut bewirkt, sein Amt versah.)
Ein Recht auf Arbeit zu fordern, aber im selben Atemzug die Pflicht zur Arbeit abzulehnen, ist kontraproduktiv. Denn die Pflicht zur Arbeit ergibt sich aus dem Wechselverhältnis des Menschen zur Natur,
aus seiner Beschaffenheit. Auch im Kommunismus ist der Sprachwissenschaftler „gezwungen“, sich Vokabeln anzueignen. Der Spitzensportler erreicht seine Leistung vielleicht zu 20 % aufgrund seines Talents, zu 80 % aber im Ergebnis harten Trainings. Er „muß“ üben. Es ist noch ein sehr langer Weg, bis die Menschen bei der Arbeit „Genugtuung erfahren, Vergnügen und Glückseligkeit“. Dafür sind etliche Voraussetzungen erforderlich.
Natürlich ist das in erster Linie eine Gesellschaftsstruktur, die es dem Menschen ermöglicht, für sich, für die Gesellschaft tätig und nicht gezwungen zu sein, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen. Darüber hinaus ist ein weit gespanntes Bildungs- und Erziehungssystem erforderlich.
Eine solche Entwicklung kann sich unmöglich in einem Land allein vollziehen. Schon Marx rief die Proletarier aller Länder auf, sich zu vereinigen. Doch die Veränderung der Welt kommt nicht von allein. Man muß
etwas dafür tun. „Ich schlief und träumte, das Leben wäre Freude. Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht. Ich handelte und siehe, die Pflicht ward Freude.“ (Rabindranath Tagore)
Gerda Huberty, Neundorf
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen