Direkte Demokratie – ich hoffe, dass diese Formel prinzipiell in weitesten linken Kreisen Anklang findet. Demokratie, also „Volksherrschaft“ ist ja das, was wir wollen – und „direkt“ als herausgehobene Eigenschaft beschreibt einen Gegensatz zu politischer „Volksherrschaft“ indirekter Art. Praktisch meinen die meisten damit die „Vertretungsdemokratien“, also solche, in denen „Vertreter“ gewählt werden, die dann die tatsächlichen Entscheidungen treffen.
An den Folgen der „Vertretung“ leiden die meisten Menschen. Nach dem Motto, dass es belanglos wird, ob drei von vier Bürgern Deutschlands keine deutschen Kriegsbeteiligungen möchte – um diesen Wunsch vielleicht (!) umzusetzen, müssen sie eine Partei wählen, die Friedenspolitik wahrscheinlich machen wird … und alle anderen Ziele dieser Partei wählt man ungefragt gleich mit. Man wird also zum Denken in Kategorien des kleineren Übels gezwungen – was dann ungefähr bedeutet, dass man die Friedensfrage gleich zur Seite lägt, wenn man niemanden hat, dessen Tod einem nahe gehen könnte.
Mit „direkter Demokratie“ könnte man sachgemäß Position beziehen.
Trotzdem hat die Sache zu bedenkende Pferdefüße. Die Bedeutung „direkter Demokratie“ - ganz unabhängig von marxistischer Analyse – wandelt sich natürlich mit den Inhalten, über die „das Volk“ entscheiden kann.
Man kann jede Entscheidung unsinnig machen, wenn man sie z. B. unter Haushalts- / Finanzierungsvorbehalt stellt. Sie wäre nur dann das, was gemeint ist, wenn Fragen zur Entscheidung stehen wie „Sollen die ersten 10 Milliarden des nächsten Jahresstaatshaushaltes für den Kauf von Tarnkappenbombern mit Zubehör oder die Unterstützung von Arbeitslosen verwendet werden?“ Und so weiter natürlich. Das sagt noch nichts über die Ergebnisse aus. Es steigerte erst einmal die Bedeutung der Medien. Denn natürlich ist die Zahl derer, die bei einer Abstimmung für beispielsweise die Todesstrafe stimmen, stark beeinflusst von einer emotional aufbereiteten Berichterstattung über den aktuellsten Fall, bei dem eine Todesstrafe nachvollziehbar erscheint …
Eine völlig andere Richtung bekommt die Debatte, sofern als Beispiel für „direkte Demokratie“ die Wahl eines Bundespräsidenten herangezogen wird. Praktisch ist eine solche Forderung aus zwei Richtungen extrem reaktionär, ja demokratiefeindlich:
Geläufig sind zwei technische Grundmodelle: das USamerikanische und das französische.
Beim amerikanischen werden in diversen, für den einzelnen Bürger schwer zu durchschauenden Vorspielen über Wahlkampfspendentheater die zwei Vertreter der wechselseitig Herrschenden ausgesiebt, neben denen jeder Unabhängige antreten, aber nicht tatsächlich gewählt werden kann. Der Sieger bekommt alles. Also ist die Vorentscheidung für das wahrscheinlich kleiner Übel die Rückseite des dümmlichsten Nationalismus.
Beim französischen kann zumindest technisch in Runde 1 jede sinnvoll erscheinende geistige Koalition und Person antreten, sich um Anerkennung bemühen und von den Wählern fast vorbehaltlos gewählt werden, weil das geringere Übel erst in der Stichwahl unbedingt zu entscheiden ist. Eine Opposition kann sich also nur durch ZU breite Zerstückelung gegenseitig den Weg zur Relevanz technisch verbauen.
Beiden Modellen ist aber eines gemein: Der insgesamt erhebliche Spektakelaufwand lohnt sich nur, sofern dem gewählten Subjekt eine so ein Spektakel rechtfertigendes Potential an Befugnissen zugebilligt wird. Man brauchte es nicht zu treiben, um dann jemanden gewählt zu haben, der dem / der Kanzler(in) morgens als erste(r) die Hand geben darf. Praktisch wäre es der Weg über mehr formelle Demokratie eine formellere Diktatur zu erschaffen.
Zum Zweiten primitiviert es das Denken der Massen. Noch mehr als sowieso schon wird es aus sachlichen Überlegungen in persönliche Sympathien verschoben. Verbessert würde nichts. Die bekannten Diktatoren des 20. Jahrhunderts konnten sich Wahlshows erlauben und der parlamentarische Kampf um die Macht der französischen Kommunisten (damals, als das noch ein Thema sein konnte) wurde auch nicht dadurch gefördert). Für Deutschland wäre die Perspektive beinahe klar: Zum Präsidenten der Herzen würde ein plagiaterfahrener Freiherr aufgeBLÖDet. Wollen wir das wirklich?
"Direkte Demokratie – ich hoffe, dass diese Formel prinzipiell in weitesten linken Kreisen Anklang findet." Glaube kaum - denn unter dem Deckmantel der Demokratie werden gegenwärtig Kriege geführt, werden tausende Menschen zerfetzt und Staatsgebiete erobert und verwüstst. Ich glaube der Begriff Volksherrschaft steht Linken besser zu Gesicht. Was die direkte "Demokratie" angeht, so kann sie unter gegenwärtigen Bedingungen nie zum Tragen kommen. Die Medien, die jede Abstimmung mittels breiter Kampangne begleiten, sind ausnahmslos in der Hand einiger weniger Privatbesitzer - somit bestimmen die dort was der "mündige Bürger" zu hören, zu sehen und zu lesen bekommt und somit wohin er abzustimmen hat. Ich stimme trotzdem zu, dass Volksentscheide besser sind als die gegenwärtige Situation, da die gegenwärtig "Abstimmenden", die dem Gewissen verantwortlichen Abgeordenten, kein Gewiseen haben, sondern nur eine immer offene Geldbörse in die die Tantiemen der Lobbyisten fallen und je nach Wert dieser "geringen" Zugaben dann das Abstimmungsergebnis aussieht.
AntwortenLöschenGünther Wassenaar