Sonntag, 25. September 2011

Wie kann man den Ausdruck "Hauptproduktivkraft ist der Mensch" verstehen?

Um die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zu verstehen, muss man zu aller Erst verstehen, was "Produktivkräfte" sind, deren Entwicklungsstand die "Produktionsverhältnisse", genau genommen alle Verhältnisse, die Menschen im gesellschaftlichen Leben zueinander eingehen, bestimmt.
Dabei gibt es drei "Arten" von Produktivkräften, die untrennbar miteinander verknüpft sind: "den Menschen" selbst, seine Arbeitsmittel und bestimmte Bedingungen, unter denen diese Arbeitsmittel wirken.
Frühe bürgerliche Gesellschaftswissenschaftler nutzten oft das Robinson-Bild zur Veranschaulichung. (Allerdings sehr beschränkt im Denkhorizont). Niemand wird bezweifeln, wie wichtig für den Schiffbrüchigen Flinte, Schießpulver und Munition waren. Für ihn "Arbeitsmittel", vergegenständlichte Arbeit (früherer) Menschen. Aber dies nur deshalb, weil er eben der wissende Robinson war. Der "Wilde" Freitag betrachtete es als Götzen zum Anbeten. Hätte er die Waffe allein gefunden, hätte er wenig damit anfangen können - zu schwer und unhandlich, um damit Wild zu erschlagen. Die Tatsache wiederum, dass Robinson dieses "Arbeitsmittel" beherrschend besaß und Freitag nicht, verwandelte Letzteren selbst in ein "Arbeitsmittel" für Robinson. In der Abgeschiedenheit der Insel ohne geschriebenes Recht dank faktischer Machtkonstellation, in einer vielschichtigen Menschengesellschaft kommt eben jenes geschriebene Recht dazu. So beschränken z. B. Lizenzen die Nutzung bestimmter Arbeitsmittel bzw. Verfahren.
Aber Robinson hatte noch etwas Anderes: Er brachte das praktische Wissen seiner Zeit mit auf die Insel. Zwar musste er es auf seine konkreten Möglichkeiten anpassen, aber er wusste, welche Tiere sich als Haustiere eigneten, wie sie am einfachsten als solche zu halten sind (wie man einen Zaun baut), er kannte Techniken der Bodenbearbeitung, wusste, was Samen ist und wie er fruchtbringend in die Erde muss, vermochte also die Natur aktiv für sich zu nutzen und vieles Andere mehr. Dieser Schatz existiert genau genommen in zwei Grundformen: Als Wissen der Menschheit, festgehalten in Büchern, heute gesammelt im Internet, und als Wissen der konkreten einzelnen Menschen, die sich das für sie zweckmäßige Teilwissen der Menschheit aneignen können und z. T. müssen.
Darauf stieß ich gerade beim Lesen von Makarenkos "Der Weg ins Leben". Das "Wissen" dieser jungen Menschen erschöpfte sich überwiegend in Techniken, geeignete Menschen zum Bestehlen zu finden, Essbares und in Essbares Verwandelbares zu stehlen und einen Platz zum Schlafen zu suchen. Einige hatten noch elementar weitergegebene Beobachtungen als Bauer oder Handwerker im Hinterkopf. Aber eine Bedienungsanleitung wäre ihnen wertlos gewesen - sie konnten ja nicht lesen. Internet wäre ihnen weniger verständlich gewesen als jedes Märchen. Und eben deshalb wertlos. Um zu Menschen ihrer Jetztzeit zu werden mussten sie erst einmal lernen: praktisches Wissen, "Kommunikationstechniken" und Umgangsformen mit anderen Menschen. Sonst wären sie im Menschheitssinne Schmarotzer geblieben. Sie sind es aber nicht.
Wie umfassend "unser" Wissen ist und durch unser Handeln zur "Produktivkraft" wird, merken wir oft erst dann, wenn es gar nicht aktivierbar ist. Allerdings sind die Vergegenständlichungsformen immer komplizierter. Man male sich die Katastrophe aus, die Computerkommunikation fiele weltweit aus!
Andererseits ist es gerade dieser verselbständigte Reichtum, der (Produktions-)Verhältnisse fordert, in denen jeder diesen Reichtum auch nutzen kann - was im Internet-Zeitalter plötzlich allgemein möglich wäre, ohne die Nutzung durch andere einzuschränken.

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