Lieber H.St.,
dein Artikel zum „Kommunismus (IV)“ empfinde ich als Herausforderung zum Handeln. Ich finde nur, dass man die Eigenschaft „fundiert“ nicht überbetonen sollte. Je weiter der Blick in die Zukunft geht, umso weniger kann man objektiv „fundierte“ Aussagen treffen. Wir können nur auf Wahrscheinlichkeiten zurückgreifen, nach denen sich gesellschaftliche Gesetze früher oder später durchsetzen müssen. Ob dies noch geschieht, bevor der konkrete Imperialismus mit seinem wenig menschenfreundlichen Wesen eine Menschheitskatastrophe ausgelöst hat, können wir nur hoffen. Da teile ich übrigens deine Sicht, dass Deutschland nicht der Nabel der sich in die Zukunft entwickelnden Welt ist.
Um aber den „Kommunismus“ wieder in das Licht zu rücken, in das es gehört, bedarf es vielerlei: Natürlich Vernunft, Einsicht in gesellschaftliche Entwicklungsgesetze und die Art ihres Wirkens, ohne Frage. Optimismus als Lebensauffassung, auch das. Aber dazu muss sich Anderes gesellen: Herz, Emotion, Begeisterung für eine gute Sache, die ansteckend wirkt. Bedingungslose Liebe zu „den Menschen“, die Vergnügen vermitteln kann am Handeln für eine gute Sache. Aber nicht zuletzt eben auch eine blühende kreative Fantasie. Sind wir fähig und bereit, uns nach den Enttäuschungen um das Land, in dem die „organische Weiterentwicklung zum Kommunismus ... konkret beschlossen“ worden war und eine Gorbatschow-Jelzin-Gesellschaft herauskam, bildhaft vorzustellen, wie diese klassenlose Gesellschaft funktionieren wird? Trauen wir uns Spekulationen und Nachdenken darüber, was einmal sein wird und welche Schritte bis dahin gegangen werden müssen und könnten? Ja, auch Spekulationen!
Wir müssen endlich erreichen, dass in eigenem Kreis nach vorn gedacht wird. Klar sind in der sozialistischen Bewegung viele konkrete Fehler gemacht worden, die freigelegt werden müssen, damit wir möglichst wenige davon beim nächsten Anlauf vermeiden können. Aber wir sind natürlich nicht unschuldig, wenn wir uns vom Klassengegner den Grundton der Debatte aufdrängen lassen. Die technischen Mittel, eine von Grund auf bessere Welt tatsächlich aufzubauen, sind heute um ein Vielfaches gewaltiger als noch vor 30 Jahren. Aber wer traut sich denn, zu sagen, was wäre, wenn wir sie in unsere Hände nähmen? Das wäre ja wohl eine kommunistische Aufgabe!
Lieber H.St.,
deine Artikel sind da ein positiver Fehdehandschuh. Sprechen wir wieder mehr über das, was wir wollen anstatt uns zu rechtfertigen, was wir nicht wollen dürfen. Da bin ich dabei! Nicht jeder hat die gleichen Stärken, glücklicherweise. Meine ist u.a. die Fantasie. Bringen wir uns ein! Schrecken wir nicht vor Weltuntergangsszenarien zurück – wenn wir es nicht verhindert haben werden, werden die einmal Wirklichkeit geworden sein ...
"Slov ant Gali"
Und nun die Vorgabe:
Kommunismus (Teil IV)
Noch belächeln uns hier viele, wenn wir von der kommunistischen Zukunft sprechen.
Dabei liegen jähe Wendungen anscheinend fester Verhältnisse weder lange zurück, noch
ereigneten sie sich selten. 1914 zogen Deutsche siegesgewiss und jubelnd für ihren Kaiser
in den Krieg, um ihn vier Jahre danach aus dem Reich zu verjagen.
Wer konnte sich 1930 etwa 1945 vorstellen? Und hätten die „Leipziger Helden“ 1989 die
tatsächlichen Folgen ihres Verhaltens geahnt, wäre nicht nur den Ostdeutschen vieles erspart
geblieben. Heute gibt es jedenfalls mehr als genug Signale dafür, dass die imperialistischen
Mächte weder wirtschaftlich noch sozial, weder politisch noch militärisch unentwegt so weiter
machen könnten, wie bisher. Es ist also nur dumm, heute noch kommunistische Vorstellungen
einfach zu belächeln. Das Problem liegt tatsächlich mehr darin, uns selbst auf die Höhe der uns
auferlegten Aufgaben heraufzuarbeiten.
Denn die asoziale Gesellschaft wird nicht allein mit deren Kritik überwunden. Es bedarf zumindest einer Grundvorstellung, was ihr folgen soll.
Kommunisten müssen sich also auch befähigen, die nachfolgende Gesellschaftsordnung
einleuchtend zu begründen.
Fundierte Antworten auf sehr reale Entwicklungsprobleme müssen erarbeitet werden. Dieser Satz kann hier nur an einem Beispiel erklärt werden. Bisher waren sozialistische Revolutionen
entgegen früheren Erwartungen nie in Ländern mit hoch entwickeltem Kapitalismus siegreich. Ob Russland, China, Jugoslawien, Kuba usw. – überall musste selbst die Industrialisierung völlig oder großen Teils nachgeholt werden. Die Produktivkräfte mussten überall erst auf das für eine sozialistische Gesellschaft erforderliche Niveau gebracht werden. Und das unter Bedingungen scharfer internationaler Klassenauseinandersetzung, verdeckter und offener Aggressionen sowie des
Kalten Krieges mit einem Feind, der wirtschaftlich (und infolge dessen oft nicht nur wirtschaftlich)
stärker war, als die sozialistisch orientierten Staaten.
Das alles führte nicht nur dazu, dass die Zeiten des Übergangs zum Sozialismus nicht selten hart waren. Auch wurde dessen organische Weiterentwicklung zum Kommunismus einzig in der UdSSR konkret beschlossen.
Doch auch dort fehlten die realen Voraussetzungen, um solche Beschlüsse in die Tat umzusetzen. Das führte zu den theoretischen Auseinandersetzungen darüber, ob Sozialismus und Kommunismus zumindest relativ eigenständige Gesellschaftsformationen wären.
Heute, also hinterher kann man – wenn man sich Mühe gibt – immer klüger sein. Es bedarf der einleuchtenden Antwort, die auch von der Partei getragen wird. Solange unser Werben für
Sozialismus/Kommunismus den Eindruck erwecken kann, wir könnten aus den Erfahrungen des real existierenden Sozialismus allein die Schlussfolgerung seiner simplen Wiederholung ziehen, fehlt ein reales, erstrebenswertes Ziel.
H. St.
Ich hoffe, ich musste nicht betonen, dass der hier angesprochene sowjetische "Beschluss" zu seiner Zeit ein Grund zum Lächeln war. Aber auch wenn er von einer Fehleinschätzung der Bedingungen der Welt ausging, hatte er das prinzipiell (!) richtige Ziel ...
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