Dienstag, 15. Januar 2013

Droht uns eine "Klasse" "Prekariat"? (4)


In DIESEM Sinn ist die Antwort, ob das „Prekariat“ eine Klasse ist, in doppelter Richtung zu verneinen. Zum einen sagt der Text selbst, es handele sich um keine homogene Gruppe. Gerade dies aber ist Bedingung, dass eine soziale Gruppe zur Klasse wird. Zum anderen erscheinen alle hier aufgezählten äußeren Merkmale als vorübergehende Randerscheinungen. Dauerhaftigkeit einer Situation aber ist ein Klassenmerkmal. So wie es früher keine Klasse der Stifte und Gesellen geben konnte, obwohl diese durch ein starkes Ausgebeutetsein miteinander verbunden waren, so gibt es eben keine Klasse der Studenten und Schüler. Der Geselle war eben Geselle in der Hoffnung, als Meister angesehener Bürger zu werden und selbst Gesellen zu nutzen. Die Studenten nehmen für sich die Stellung, die sie für später anstreben, vorweg. Sie können allerdings für die moderne Gesellschaft zum großen Problem werden, wenn ihnen in der Breite die „Aufstiegsperspektive“ genommen wäre, sie sich also als potentielles Proletariat / Prekariat verstehen müssen mit der Möglichkeit, sich relativ leicht zu organisieren – vergleichbar der Großproduktion.

Allerdings gibt es Tendenzen im modernen Kapitalismus, tatsächlich ein Prekariatsklasse zu formen. Die darin enthaltenen Besonderheiten stellen eine Bedrohung für jede positive gesellschaftliche Veränderungsmöglichkeit dar.

Was kennzeichnete dieses anwachsende „Prekariat“ als Klasse?
Ausgangspunkt sind die durch die Kapitalisten erkannten objektiven Voraussetzungen für den Klassenkampf des Proletariats: „Proletarier“ stehen ihren (potentiellen) Ausbeutern so gut wie immer als Gruppe gegenüber. Gelingen ihren keine gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, so befinden sie sich in permanenten Sparringkämpfen um soziale Gruppeninteressen. Als Beispiel kann die zumindest ansatzweise Gruppensolidarität des gewerkschaftlichen Handelns gelten. Wie kann dies durch die Klasse der Großkapitalisten unterlaufen werden? Die moderne Rechentechnik ermöglicht schrittweise eine Perfektionierung einer Strategie, die bereits auf niedrigem Niveau angelaufen ist. Nennen wir sie „Outsoucing“. Noch bedeutet sie überwiegend nur die Ausgliederung von Firmenfunktionen zu eigenen Kleinfirmen mit geringerem sozialem Schutz. Langfristig wird angedacht, immer mehr Aufgaben des ursprünglichen Großunternehmens an einzelne Projektinteressierte zu übergeben. Anstelle des Proletariers, der seine Arbeitskraft vertraglich begrenzt dem Kapitalisten „verkauft“, versuchen dann Massen von Prekären, ihre Arbeitsergebnisse zu verkaufen. Praktisch sind Ähnlichkeiten mit dem Verlagssystem des Frühkapitalismus vorhanden. Gefährlich ist dabei der Trend: Massen an „kreativem Humankapital“ werden gezwungen, sich freiwillig selbst auszubeuten. Sie dürfen sogar individuell über den Grad der Ausbeutung entscheiden, über ihre Arbeitszeit, über die Auslastung ihrer Produktionsmittel, die formal frei praktisch ins Eigentum der Großunternehmen „eingebunden“ sind. Permanent schwankt dieses Prekariat hin und her zwischen unterschiedlich lukrativen Projekten, bei denen sie „selbständig“ u.U. gut Geld verdienen könnten, und dem Empfang von Almosen in der Art von „Hartz IV“. Ständig und ohne wesentliche Ausnahmen erleben sich diese Subjekte als Konkurrenten zu Ihresgleichen. Die höchste Selbstausbeutung erscheint als sozialer Erfolg.
Die Zeit jenes „Prekariats“, welches noch 2006 von der Friedrich-Ebert-Stiftung als den „autoritätsorientierten Geringqualifizierten“ abqualifiziert wird, ist dann vorbei. Gerade die, die eine „Mittelschicht“ in der Gesellschaft bilden könnten, werden zu „kreativ arbeitenden Krüppelindividuen“.
Man darf befürchten, dass eine solche Klasse das bisherige Proletariat immer mehr ablöst, je weiter Mikroelektronik mit im weitesten Sinne Robotertechnik verknüpft ist. Das, was nach materialistischer Dialektik die Basis für eine klassenlose Gesellschaft wäre, wird eine Masse von Fachidioten und Arbeitskräfte-Reserve-Armee. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wann welche Technologien die betrieblichen Arbeitsplätze auslagerbar gemacht haben. Bis diese „Klasse“ sich selbst als Handelnde mit gemeinsamen Interessen erfasst, könnten Jahrhunderte vergehen ...

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