Mittwoch, 21. Dezember 2011

Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (3)

In der Geburtszeit von "Staat und Revolution"

Die Antwort fällt leichter, wenn man berücksichtigt, dass Marx aus der prinzipiellen Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft – die er für die Vergangenheit aufzeigen konnte – die Notwendigkeit und Möglichkeit der weiteren Entwicklung, einschließlich der diese Entwicklung tragenden Kraft ableitete. Die „Arbeiterklasse“, so meinte er, sei die erste Klasse, die dank ihrer Rolle in der Produktion – nämlich doppelt „frei“ zu sein (von vorgeschriebenen Abhängigkeiten und von Eigentum) –die Klassenherrschaftsverhältnisse als Ganzes beseitigen könne. Diese Arbeiterklasse entwickelte sich in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts stürmisch … entfaltete aber außer der Pariser Commune kaum wesentliche Aktivitäten, ihrer eigenen Führungsrolle im Weltgeschehen gerecht zu werden.
Erst mit dem Ersten Weltkrieg war eine „revolutionäre Situation“ am Reifen: Eigentlich verlief der Krieg ja für keine Seite ganz nach Wunsch. Mehr oder weniger sah es danach aus, dass die Herrschenden nicht mehr auf die bisherige Weise würden weiter herrschen und die Beherrschten nicht mehr so weiter leben könnten wie bisher. Das Mehr traf besonders für Deutschland zu, je mehr sich die Unmöglichkeit eines Sieges abzeichnete, während die Volksmassen richtige Hungersnöte durchlebte.

Unter diesen Bedingungen schrieb Lenin sein gern verkanntes Buch „Staat und Revolution“, in dem er das Ziel einer sich sozialistisch auflösenden Klassengesellschaft so „wissenschaftlich“, wie es zu jener Zeit maximal möglich war, beschrieb. Gern wird viel in Ausführungen hineingedeutet, die er nur wenige Monate später machte (hauptsächlich die „Aprilthesen“), in denen er scheinbar grundsätzliche Positionen wieder korrigierte. Das hat er aber eben nicht.
Zum dialektischen Denken gehört auch, sich darüber klarzuwerden, auf welcher Ebene man sich gerade bewegt. Und „Staat und Revolution“ beschrieb eine Welt (!!!) des „Sozialismus“, auf die hinzusteuern 1916 theoretisch notwendig war und möglich schien – während 1917 die Kräfte miteinander rangen, die einen solchen Weg gerade praktisch einleiteten. Nun stellte sich die Frage auf einer Ebene, auf der man zwar Sozialismus haben wollte, aber mindestens in wesentlichen Teilen der Welt noch nicht hatte und wahrscheinlich haben konnte.
Noch immer bestand Grund zur Hoffnung: Wir (also die Bolschewiki) stehen an unserem Platz, erfüllen unsere Pflicht, andere stehen an anderen, um dort die ihre zu erfüllen. Eine besondere Rolle kam dabei Deutschland zu. Hier waren die weltgrößten Potenzen der inneren Wirtschaftskraft konzentriert. Die Weltmacht Nummer eins, England, war durch die Ausbeutung ihrer Kolonialwelt stärker ein „Rentnerstaat“, wo den Bewohnern mehr Almosen zugeworfen wurden.
Sowohl der relative Sieg der russischen Oktoberrevolution als auch die Niederlage aller die bürgerlichen Horizonte übersteigenden Elemente in der Novemberrevolution in Deutschland hatten zwar konkrete Gründe, beide Ergebnisse waren für sich genommen aber nicht so zwingend notwendig, wie beispielsweise der „Ausbruch“ des Weltkriegs (bei dem nur der Anlass, also das Datum des Beginns Zufall gewesen war.) Dass – um nur ein Beispiel zu nennen – die Kommunistische Partei Deutschlands nicht schon am 30.12.1917 gegründet wurde, war kein Sachverhalt, den Lenin im April 1917 hätte berücksichtigen können.


Der Länge wegen teile ich den Entwurf für das Geschichtskapitel IM KOMoDo-Projekt auf. Der vollständige Text findet sich  h i e r.

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