Samstag, 24. Dezember 2011

Wie ich zum ungeeigneten Staatsbürgerkundelehrer wurde - eine weihnachtlich (fast) unbefleckte Empfängnis ...

Nun ja, die Angelegenheit geriet „natürlich“ später in die Fänge sozialistischer Bürokratie. Plötzlich hatte eine bedeutungslose Kollegin, die das „Büro für Neuererwesen“ verkörperte, etwas Reales zu tun. Und zwar etwas, was dem Ideal des Staates sehr nahe kam, hatten sich doch tatsächlich richtige Arbeiter mit Angestellten und Angehörigen der Intelligenz zusammengefunden, um einen Arbeitsablauf zu verbessern! Leider nur spontan. Von nun an sollte es also einen planmäßigen Rahmen bekommen. Wir sollten gezielt und geplant Verbesserungen erarbeiten. Wir erstellten auch tatsächlich ein Jugendobjekt. Allerdings bestand dessen Hauptkreativität in der Fixierung eines Nutzens, der nie eintreten konnte. Ich weiß nicht, wie klar das den Einzelnen war, aber mir begann die Sache peinlich zu werden. Die planorganisierte Nützlichkeit verwandelte sich in eine Form des Sich-in-die-Taschen-Lügens Ich suchte im Unterbewusstsein bereits eine Fluchtmöglichkeit. Es war nur vorübergehend ein Keim aufgegangen. So wäre unsere Gesellschaft geworden …
Ich behaupte nicht, dass dies tatsächlich Erlebte eine typische Erscheinung des DDR-“Sozialismus“ gewesen sei. Aber eben mein sicher nicht total untypisches konkretes Erleben.

Zu jener Zeit war ich mit einer Abiturientin aus Berlin zusammen. Die hatte außer vielleicht am „Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion“ noch nie einen Arbeiter in Natur gesehen (Der Vater war Mediziner und Edelgrundstücksbesitzer, die Mutter Hausfrau). Aber aus dem Staatsbürgerkunde-Unterricht nach Lehrbuch „wusste“ sie, was und wie die Arbeiterklasse war – und demzufolge nicht sein konnte – und zum anderen war ihr klar, dass jemand, der behauptete, so etwas Unmögliches erlebt zu haben wie ich, nur ein Klassenfeind sein konnte. Nun war ich immer sehr kritisch gewesen. Dass mir aber jemand, der keine Ahnung hatte und noch dazu meine Bettgefährtin war, nicht nur erklären wollte, was ich erlebt haben konnte (und was nicht), sondern auch, dass ich ein „Klassenfeind“ war, reizte meinen Widerspruchsgeist. Ich nicht auf der Seite des Sozialismus?! Du wirst schon sehen! Vielleicht bin ich bald selbst Staatsbürgerkundelehrer – ich weiß dann wenigstens, wovon ich spreche. Es war nicht nur ein Vogel, den ich gezeigt bekam. Dass ich das spontan Gesagte ernst meinen könnte, war meiner Partnerin nicht klar.
Aber gleich in der nächsten Woche lauerte ich am Arbeitsplatz auf eine Gelegenheit, allein das Telefon benutzen zu können. Die Nummer der Hochschule, die die von mir angestrebte Fachkombination Deutsch und Staatsbürgerkunde anbot, hatte ich mir bereits herausgesucht. Kaum war ich ungestört, erkundete ich mich dort, ob noch ein Platz frei sei. Deutsch / Staatsbürgerkunde nicht, aber Staatsbürgerkunde / Deutsch, bekam ich zur Antwort. Na gut, nehm ich. Was muss ich denn tun? Einen Antrag ausfüllen und zum Arzt und man schicke mir alle Formulare zu.
Das war im August. Im September desselben Jahres (!) begann ich mein Lehrerstudium. Die anderen Studenten hatten sich natürlich ein Jahr früher beworben und waren im Mai bereits zu einem Jugendlager zusammengetroffen.
Die Eile enthielt auch einen Bumerang, der später auf mich zurückfiel: Jeder zukünftige Lehrer wurde planmäßig gründlich unter anderem vom Hals-Nasen- und Ohrenarzt untersucht, nicht nur, aber auch auf die Eignung der Stimmbänder. Die waren aufgrund eines Bronchialinfekts bei mir in jenem August nicht zu begutachten. Der Arzt schrieb also, dass er keinen Befund erstellen könne. Während des Studiums stellte sich dann heraus, dass ich unter normalen Bedingungen nicht zugelassen worden wäre. Aber da ich nun einmal schon dabei war und ja wollte, konnte ich weitermachen.
Wenn ich heute von den vielen Bespitzelungen höre, muss ich laut lachen: So schnell, wie in meinem Fall eine absolut unbürokratische Lösung möglich gemacht worden war, war zu dieser Zeit technisch keine Akte anzufordern und zu sichten. Selbst hier, wo sich im Nachhinein eigentlich die spontane Entscheidung als Fehler herausstellte, war sie etwas Positives.
Darf man mir verübeln, dass ich das vergnüglich fand? Aus einer spontanen Tageslaune heraus landete ich auf einem Pädagogenplatz – und noch dazu auf dem des grausigen Rotlichtbestrahlers für unschuldige Kinder. Ja, so anarchisch habe ich Staatsbürgerkundelehrer werden können. Und mir ist nie ein „Stasi“-Schlapphut mit dem Wunsch nach einer „Verpflichtung“ begegnet (aus anderen Gründen auch nicht) – ich war damals nicht einmal Mitglied oder „Kandidat“ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Das war nicht Bedingung. Später habe ich mich darum bemüht, dies zu ändern. Das war schwierig. Ich nahm es allerdings auch ernst mit der Auswahl meiner Bürgen. Ich hatte meine Freiheit voll ausgereizt und erwartete nicht von vornherein, dass man ausgerechnet mir Vertrauen entgegenbrächte – brachte man aber.

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