Mittwoch, 2. Februar 2011

Von Hunde-, Kirsch- und Marmorkuchen (4)

Was aber soll die Überschrift?
Die Sprachen entwickeln sich im chaotischen alltäglichen Gebrauch. Eine neue, bewusst geschaffene Weltsprache müsste natürlich weitgehend(erst einmal) logisch sein, damit sie jeder Mensch unabhängig von seiner Ursprungssprache leicht in ihren Zusammenhängen verstehen kann. Dabei stößt man eben auf solche Probleme, wie sie zum Beispiel die reale deutsche Sprache anbietet. Es faltet eben nicht nur der Zitronenfalter keine Zitronen. Die drei „Kuchen“ sind äußerlich identisch gebaut, sind auch wirklich als „Kuchen“ gedacht (und nicht – wie der Falter – bereits mit eigenem Sinn bei gleichem Klang versehen), aber das eine ist eben ein Kuchen mit / aus Kirschen, das andere einer für Hunde und das dritte wahrscheinlich einer wie Marmor. Die Basic-Weltsprache wird dies so sagen müssen (also "Kuchen für Hunde" ... das ist ja einfacher, als lauter neue Begriffe zu kreieren). Wie schnell aber wird in der Wirklichkeit zwischen konkreten Menschen darüber gelacht und die logische Genauigkeit als Selbstverständlichkeit wieder abgeschliffen (Niemand käme ja auf die Idee, es könne einen Kuchen mit Hunden drin oder einen, der bellt oder so geben). Es entwickeln sich also eine „saubere“ Schriftsprache und eine Unzahl gruppen- oder landschaftstypischer Abwandlungen. (Wenn wo Hund gegessen würde, wäre die Selbstverständlichkeit eben nicht so selbstverständlich.) Aus diesen Abwandlungen heraus wandelt sich letztlich aber auch die Welt-Basic-Grundsprache – wer wollte schon eine Sprache lernen, die allgemein als altmodisch und starr empfunden würde?
Insofern spiegelt die Sprache die neuen gesellschaftlichen Beziehungen wider. Sie wird zu einem allgemeinen, auf einer bestimmten Ebene für jeden zugängige und genutzte Kommunikation zwischen Gleichen unter Gleichen. Andererseits nimmt sie beständig Anstöße auf, mit denen sich die verschiedensten Gruppen und Individuen von der allgemeinen Gleichheit wieder abgrenzen. Es ist ein aus der Mode bekanntes Paradoxon: Jede Mode ist Uniformierung, schreibt bestimmte Symbole stillschweigend vor, indem die eben in zu sein haben. So wird das Bestreben, seine Individualität auszudrücken, dadurch, dass es viele tun, zu einem Mittel, sich in eine uniforme Gruppe einzufügen. Bei der Sprache ist dies allerdings begründeter, weil ja jedes Zeichen oder Symbol erst dadurch zu einem wird, dass es Andere verstehen – und wenn es auch nur wenige Andere wären.
Eine Weltsprache „korrespondiert“ mit der Möglichkeit, sich wegen gemeinsamer Interessen verständigen zu wollen und zu können. Umgekehrt wird heute eine deutsche Sprache als Grundmerkmal einer Menschengruppe, die sonst wenig gemein hat, verwendet, um sie gegen andere Kulturen zu missbrauchen, für die das Verständnis eingeschränkt ist. Ob einer Deutsch spricht, kann jeder feststellen, ob mich der andere „bescheißt“, „ausbeutet“ oder „missbraucht“, ist wesentlich weniger äußerlich offensichtlich. So einfache Abgrenzungen erleichtern das Verschleiern von komplizierten „Klassen“-Analysen. Warum sollten sich die überall Herrschenden ein so einfaches Mittel der Zersplitterung der nicht Herrschenden verderben? Und nun stelle man sich vor, welchen Effekt es hatte, als unter solchem Gewohnheitsdenken die russische Sprache dem „Rest“ als Verkehrssprache aufgedrängt wurde …

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