Mittwoch, 20. Juli 2011

Mein ganz individueller Kommunismus (108)

Warum bin ich dagegen, den Begriff „Diktatur des Proletariats“ zu gebrauchen?

Begriffe sind immer Teile eines Begriffssystems. Sie erhalten ihre Verständlichkeit aus dem Zusammenhang mit anderen. Eine Sprache, die keinen Ausdruck „Krieg“ kennt, weil es für das diese Sprache sprechende Volk keine Krieg gibt, hat auch keinen Begriff „Frieden“.
Für Menschen, die sich mit Gedanken auseinandersetzen, die über den Denkhorizont der jeweils herrschenden gesellschaftlichen Ordnung hinausreichen, gibt es ein zusätzliches Problem: Die Begriffswelt einer Zeit wird durch die in dieser Zeit Herrschenden geprägt. Ihre Begriffe sind dabei nicht nur, aber zuerst einmal Mittel, um die eigenen Machtverhältnisse mit positiv getöntem Äußeren zu versehen. In dieser Darstellungsweise sind sie medial allgegenwärtig. Es ist also logisch, dass zur Emanzipation der die bisherigen Machtverhältnisse in Frage stellenden Kräfte auch gehört, die tatsächlichen Verhältnisse ungeschminkt darstellende Begriffe zu prägen. Aus diesen Begriffen erwächst zum neuen Verständnis der Welt ein ganzes geschlossenes Begriffssystem. Das Problem dieses Begriffssystems: Es ist mit dem herrschenden nicht kompatibel. Selbst wenn es vertraute Wörter gebrauchte, so wären sie anders bewertet.
Es ist eine bedeutsame Leistung von Karl Marx, das Gerüst von klar definierten Begriffen – so klar definierten, dass sie wissenschaftlich sind – für eine neue Weltanschauung gebaut zu haben.
Einer dieser Begriffe ist die „Diktatur des Proletariats“, die es für die die Menschheit befreiende Arbeiterklasse als ersten Schritt als Fundament des künftigen Sozialismus/Kommunismus zu errichten gilt. Dies ist eine nur um den Preis der Selbstaufgabe anfechtbare Grundaufgabe.
Nun hat aber dieser Begriff innerhalb des Begriffssystems des Marxismus eine logische Voraussetzung: Das Wesen des Kapitalismus besteht in der Diktatur des Kapitals (der Kapitalistenklasse). Wohlgemerkt das Wesen! Marx ging es dabei nicht um Erscheinungen. Natürlich hätte er den Hitlerfaschismus als formale Diktatur verstanden. Er schloss in diesen Begriff aber ein, dass auch das, was der Form nach eine „parlamentarische Demokratie“ ist, dem Wesen nach eine Diktatur des Kapitals verhüllt. In dem Sinne, dass egal, was in den Schwatzbuden erzählt wird, das Kapital bestimmt, was geschieht in der Welt. Es bedient sich dabei diverser Hüllen, eines Apparats aus Gewalt, Beamtentum, verselbständigtem Geist der herrschenden Klasse usw. Ohne jede Mühe verkündeten ja die Instrumente der faschistischen Diktatur in Deutschland kurz darauf das Funktionieren der „Demokratie“.
Nur in Entgegenstellung zur „Diktatur des Kapitals“ gewinnt die „Diktatur des Proletariats“ ihre Berechtigung. Es war nie gemeint, dass einzelne Personen neue Alleinherrscher werden sollten. Es ging immer darum, dass auch nach der formalen „Regierungsübernahme“ von Vertretern der „Arbeiterklasse“ ein wirtschaftspolitisches Netzwerk besteht, das die vorigen Machtverhältnisse wieder herstellt, wenn es nicht mit (auch) außerökonomischen Mitteln, also mit der politischen Macht daran gehindert wird. Ich nenne dies Überkompensation der Macht. Es müssen z. B. besonders geförderte Wege eröffnet werden, damit der Emanzipation der Arbeitenden Ergebene in Führungspositionen in der Wirtschaft, in der Bildung, in den meinungsbildenden Medien usw. gelangen – ansonsten reproduzieren sich nicht die „alten Seilschaften“.
Nun haben wir also das Problem, dass nur der „Diktatur des Proletariats“ richtig versteht, der um die „Diktatur des Kapitals“ weiß. Die Masse ist aber zuerst die manipulierenden Ausdrücke der Machtmedien gewöhnt. Dort steht eine begrifflich positiv betonte „Demokratie“, in der jeder alles sagen kann, was die Machtverhältnisse nicht real verändert, und jeder alle vier Jahre seine Vertretung an verschiedene Kapital gesteuerte Parteien abtreten kann (und muss) dem Begriff „Diktatur“ einer Einzelperson oder einer kleinen Gruppe gegenüber. Da noch dazu die Definition der „Arbeiterklasse“ / des „Proletariats“ schwierig, auf jeden Fall kein Allgemeingut ist, ist es leicht selbstmörderisch, sich selbst mit dem Umhang einer im Massenbewusstsein eindeutig negativ belegten Begriffs bedecken zu wollen. Noch dazu, da das, was Marx „Diktatur des Proletariats“ nannte, wissenschaftlich betrachtet, bereits eine Höchstform der Demokratie wäre, wenn sie marxistisch umgesetzt würde: Sie bezöge die größten Teile der Menschheit real in die Gestaltung ihrer Angelegenheiten ein...

2 Kommentare:

  1. Der Begriff ist schon deswegen irreführend, weil es diese Diktatur des Proletariats nie gegeben hat. Wenn dann war es die Diktatur der Partei. Das Proletariat wurde nicht gefragt.

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  2. In dieser Position sind wir einer Meinung. Allerdings ist es schwierig "Das Proletariat" anzusprechen. Es ist ja ein objektiver Begriff, der sich eben unterscheidet von denen, die sich zugehörig zu dieser Klasse bekennen. Das macht es Parteien leicht, sich zur Vertreterin "der Klasse" auszugeben - so wie ja auch bürgerliche Parteien, so sie einmal gewählt wurden, unabhängig vom konkreten Willen ihrer eigenen Wähler als deren Vertreter geben ...

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