Freitag, 3. Dezember 2010

Zweifel 2

  Über den Zweifel
 Viele werden - anderer persönlicher Erfahrungen wegen - abwinken. Vielleicht war es wirklich nur ein ganz besonderes Glück. Ich hatte in der Schule tatsächlich eine Lehrerin im DDR-Unterrichtsfach Staatsbürgerkunde, bei der es immer interessant war. Sie animierte uns zum Zweifeln an allem, was uns als „Wahrheit“, vor allem als „ewige Wahrheit“ angepriesen würde. Auf die Frage, ob dies auch für das gelte, was im Stabü-Lehrbuch stand, antwortete sie, daran sollt ihr nicht nur zweifeln, daran müsst ihr sogar zweifeln. Erst wenn ihr das tut, habt ihr dieses Fach verstanden. Anders werdet ihr nie im Sinn von Marx, Engels und Lenin denken und handeln. Anstatt dessen nachbeten. Dazu aber könnt ihr genauso gut in die Kirche gehen.
Der Versuch, diese frisch erworbene Weisheit im Geschichtsunterricht anzuwenden, wurde mir schnell zum Verhängnis. Ich lernte also, dass nicht überall dasselbe drin ist, wo „marxistisch“ drauf steht. Also gibt es gar keine Wahrheit oder mehrere?! Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass es zuerst einmal darauf ankommt, festzustellen, was der andere wirklich meint, ob er überhaupt auf derselben Ebene argumentiert wie man selbst. Denn auf jeder Ebene kommt mitunter ein anderes Ergebnis raus. Und sobald man eine „Lüge“ stillschweigend als gegeben anerkennt, werden neue Lügen logisch wahr ...
Später ging mir der böse Sinn der Forderung, an allem zu zweifeln, erst richtig auf. Da erahnte ich aber auch, welch zweifelhafter Ratgeber doch der „gesunde Menschenverstand“ dabei sein kann.
Glaubt ihr mir, dass die Erde eine Scheibe ist, über der sich die Sonne bewegt?
Nein, das ist Unsinn? Gut. Einverstanden.
Aber jeder sagt doch, ohne groß darüber nachzudenken, „Die Sonne geht auf“ oder „Die Sonne geht unter“. Ist das richtig oder falsch?
Nun stellt euch vor, ihr hättet all die Zusammenhänge von Physik und Astronomie in der Schule nicht so gelernt wie er sie gelernt hat. Was seht ihr?
Die Sonne geht morgens auf, bewegt sich in jahreszeitlich unterschiedlichen Bahnen über den Himmel und geht auf dessen anderen Seite wieder unter. Das sieht jeder wirklich.
Nun stellen wir uns vor, wir hätten dies als richtig in der Schule gelernt, verbunden mit Erklärungen wie, das alles sei der unergründliche Wille eines über dem Ganzen wachenden Schöpfers, hätten wir daran gezweifelt?

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