Die marxistische Freiheit geht von der Grundbeziehung zur (Um-)Welt aus. Sie nennt – verkürzt ausgedrückt – den Menschen frei, der seine Beziehungen bewusst gestaltet, weil er sie versteht. Als Konsequenz bedeutet dies, dass der Mensch in dem Umfang frei ist, in dem er mit seinem gesellschaftlichen Tun tatsächlich das erreicht, was er beabsichtigt hatte. Dabei sollte man noch zwischen Ebenen unterscheiden. Natürlich gibt es immer relative persönliche Freiheiten. Zugespitzt: Der kleine Junge wird sich erst einmal so frei fühlen, wie er Bonbons in den Mund stopfen kann, wenn ihm danach ist (ihm ist fast immer danach). Seine reale Freiheit wird „bürgerlich“ dadurch eingeschränkt, dass a) nur die eine Packung seine ist, die die Eltern ihm gegeben haben ... und die ist alle ... während die anderen Bonbons der Schwester gehören, und b) die Eltern sagen, heute bekommst du keine, weil du nicht lieb warst.
Frei im marxistischen Sinn wird er, wenn er a) bewusst entscheidet, dass er auch zum Zahnarzt geht, sobald die Karies gekommen ist bzw. auf die schädlichen Bonbons verzichtet, weil er die Folgen ihres Übergenusses schon vorher berücksichtigt und b) sich mit den anderen Familienmitgliedern geeinigt hat, wer wie viele vorhandene Gesamtbonbons wann nutzt, und sich an diese Vereinbarung, an der er gleichberechtigt beteiligt war, auch hält. Hieraus ergibt sich die Schlagwortvereinfachung „Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit“. Es gehört zur marxistischen „Freiheit“ schon eine beachtliche Menge Vernunft und Einsicht und eigentlich natürlich auch unbedingt die Ausschaltung von nicht in der eigenen Verfügung stehenden Abhängigkeiten. (Insofern unterscheiden sich „Kommunismus“ und „Sozialismus“ sehr wesentlich, denn letzterer existiert noch unter entscheidender „Stützung“ durch Staatsorgane, die ganzen Menschengruppen Freiheiten gegen ihr Verständnis eingrenzen (müssen).
Besagter Beispieljunge kann gar nicht frei sein. Zum einen überblickt er im jeweiligen Moment sehr wahrscheinlich die Folgen seines Tuns nicht, zum anderen können die Eltern zu jedem Zeitpunkt die irgendwann spielerisch getroffene Vereinbarung aussetzen. Er ist wirtschaftlich von ihnen abhängig. (Der Verführung, ihm die zugestandenen Bonbons wegen Fehlverhaltens vorzuenthalten, kann kaum ein Elternteil widerstehen.)
Solche Abhängigkeiten bestehen in der heutigen Wirtschaft ständig. Jeder Besitzer hat in dieser Art jedem Nichtbesitzer etwas voraus. (Ich beziehe hier Besitzer natürlich auf „Produktionsmittel“ und sei dies der Zugang zu Verwaltungsvorgängen einer Programmsteuerung.)
Dies ändert sich im Sozialismus nicht. Dort werden zwar im Wesentlichen die Bedingungen beseitigt, die die Ausübung solcher meist unsichtbarer Unfreiheiten erzwingen. An ihre Stelle treten aber – zumindest so lange es eine Systemkonkurrenz im Weltmaßstab gibt – andere offene Einschränkungen von persönlichen Freiheiten.
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