Sonntag, 9. Januar 2011

In der DDR gab es mehr "sozialistische Persönlichkeiten" als es den Anschein hatte und noch viel mehr als wir heute unterstellen (3)

... Dann aber passierte etwas Ungewöhnliches. Es ist klar, dass wenn auf solche Weise immer wieder jemand kam von „da oben“, der sich nicht überheblich zeigte, dass man mit ihm quatschte - auch über Arbeitsangelegenheiten. Und irgendwann wunderten wir uns über überquellende Überschüsse an einer Ventilsorte, von der es eigentlich gar keine hätte geben dürfen. Buchtechnisch. Es stellte sich heraus, dass bei einem Fertigungsvorgang eine vorgefertigte Verschraubung nicht passte und die Arbeiter das vorgesehene Ventil dann durch ein anderes ersetzten. Das ausgebaute existierte zum Erbrechen, das dafür eingebaute fehlte natürlich. Dort hatte irgendwer etwas falsch gemacht, falsch geplant oder was auch immer…
Schließlich entdeckten wir den Fehler in der technischen Zeichnung. Der Kampf begann … und er endete mit einem gemeinsamen „Neuerervorschlag“. Die versoffenen Rumsitzer mit ihrer missglückten Schulbildung – schließlich waren das alles DDR-Schüler, die ihre Schulen mit schlechten Noten beendet hatten – waren nicht wieder zu erkennen. Mit einem unbeschreiblichen Eifer versuchten sie die gemeinsame Aufgabe zu lösen, die eigentlich über ihre Möglichkeiten ging. Sie erwiesen sich im höchsten Maße als kameradschaftlich (teamfähig würde man wohl heute sagen), und waren unbeschreiblich begeistert, etwas am großen Ablauf verbessern zu können.
Plötzlich, als sie selbst an der Lösung eines Problems tüfteln durften (der Natur des Problems wegen mussten), übernahmen sie ganz selbstverständlich (auch ohne Lunikoff) die Initiative. Dieselben Menschen, die sonst überwiegend angetrunken von Schichtbeginn an den Dienstschluss erwarteten, empfanden sich als wichtig für das große Ganze. Sie handelten plötzlich als „Volkseigentümer“ - stolz auf ihren sichtbaren Wert.

Ich will nur als Randnotiz ergänzen, dass wir letztlich hart dafür „bestraft“ wurden. Ein Mädchen im Büro für Neuererwesen, das bis dahin nicht recht gewusst hatte, wozu sie eigentlich da war, erlebte ihre große Zeit. Da war etwas passiert: Ein Kollektiv aus Arbeitern und Angestellten hatte eine Projektantenarbeit bewältigt. Oh, und daran waren auch noch viele Jugendliche beteiligt. Dann machen wir die zur „Jugendbrigade“. Und jetzt müssen sie natürlich planmäßig (!) „neuern“ und … Also viel Bürokratisierung, die der spontanen Kreativität Planbahnen aufzwängen wollte. Aber das lege ich als „realsozialistisch“ deutsch zur Seite.
Wichtiger war etwas Anderes:

2 Kommentare:

  1. Schon bei den vorgegangenen Beiträgen regte sich in mir ein unbändiger Widerspruch. Da ich selbst mit Pumpen zu tun hatte, ich war verantwortlich mit meinen mir unterstellten Kollegen alle Pumpen des Stickstoffwerkes Piesteritz zu reparieren, kenne ich mich ein wenig in der Materie aus. Wenn dort einer der "Sesselpforzer" schreibt, dass die "Jungs" in der Produktion von Schichtbeginn an betrunken waren, dann hat er seklbst keine Position zum Volkseigentum besessen. Es ist richtig dass oft getrunken wurd, zumindest bei Anlässen, wie Geburtstagen von Kollegen, aber es kam darauf an, wie der entsprechende Leiter darauf reagierte. Bei mir war mal der eine Meisterbereich Freitags mittags komplett betrunken. Da der Leiter auch die Verantwortung für den Heimweg seiner Kollegen hatte, war ich in der Pflicht. Fast alle waren mit unterschiedlichsten KFZ unterwegs. Da sich jedoch meine Kollegen, Suffbedingt, nicht helfen lassen wollten, habe ich konkrete Maßnahmen durchgesetzt. Am darauffolgenden Montag gab es mehrere Disziplinarmaßnahmen und einige wurden mit strengem und mit Verweisen bestraft. Darüber lächelten einige noch, als sie den Raum verließen. Als jedoch bei der Jahresendpämie diese Flaschen Alkohol mit etwa 150 bis 200 Mark Abzug zu Buche standen, wußten sie, dass ich in Sachen Trunkenheit keinen Spaß verstehe - dass sie genau wußten, dass ich selbst nie am Arbeitsplatz Alkohol zu mir nahm, war klar. Seit dieser Zeit, kann ich behaupten, wurde in meinem Bereich kein Alkohol mehr getrunken. Wer nun denkt, dass ich damnit Ansehen verloren hätte - der irrt. Bei einer politischen Diskussion, bei der einer der Kollegen Pauschal alle Genossen als "rote Arschlöcher" beschimpfte, verwahrte ich mich gegen diesen Ausdruck mit dem Hinweis, dass auch ich in der SED sei. Darauf einer der Kollegen, " Sei ruhig, Du bist ein weißer Rabe".
    Diese sozialistischen Persönlichkeiten konnten schon genau unterscheiden, wo Genossen standen, die klar zu ihrer Position standen und auch danach lebten und arbeiteten und wo angemalte Rote standen - die waren der Sargnagel unserer Gesellschaft und darum geht es diese Verbrecher, die mit vorgespielter Gesinnung Geld verdient haben,zu entlarven und eine solche Entwicklung nie wieder zuzulassen.
    Günther Wassenaar
    wassenaar@web.de

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  2. Gut, für die "Arbeiter" mag ich als "Sesselpfurzer" erschienen sein.
    Richtig, ein Leiter muss leiten, führen.
    Aber Widerspruch: Inwieweit jeder einzelne als herrschende Arbeiterklasse auftritt, sich als Besitzer der Produktionsmittel fühlt und so mit ihnen umgeht, kann nicht auf den jeweiligen Leiter abgeladen werden. Der einzelne Arbeiter ist eben selbst eine Persönlichkeit.
    Klar, er kann an der konkreten Entfaltung eben dieser Persönlichkeit gehindert sein oder behindert werden. Dieses Problem hatten die meinen: Sie erhielten im Laufe eines Kalenderjahres von einem imaginären "Oben" jeweils neue "Pläne", die sie (zu Recht) als leere Befehle empfanden, und stellten sich entsprechend darauf ein. Selbst gefragt wurden sie nicht. Das war ja der Kern meine Episode, dass plötzlich ausnahmsweise jemand kam und ihnen die Möglichkeit bot, etwas zum Besseren zu verändern. Dass das, was sie da taten, der DDR-Gesellschaft nutzte, war ihnen nicht nur bewusst, es war auch beabsichtigt, Ziel ihres Tuns.
    Dass sie zuvor eben nicht nur Geburtstage gefeiert haben, sondern ihr "Arbeitsplatz" Ort zum "Chillen" war, wie Jugendliche heute sagen würden, hörst du offensichtlich nicht so gerne. Genau so war es aber.
    Um der ganzen Geschichte die Krone aufzusetzen: Die Truppe ist tatsächlich eine "Jugendbrigade" geworden. In meiner Restzeit in dem Betrieb verhielten sie sich nach jenem "Vorfall" positiv. Ich glaube nicht, dass sie mir da etwas vorspielten. Sie versuchten ernsthaft, die Schäden, die das Planchaos für sie bedeutete, höchstmöglich zu mindern.

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